Freitag, 24. August 2007

Aly & Rave


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Schon als er aus der Lounge trat konnte er sehen, dass die Show noch nicht vorbei war. Ganz im Gegenteil, es schien grad erst richtig loszugehen. Als er sich einen Platz suchte, fiel sein Blick kurz auf Mike, der gerade mit einem der Mädchen beschäftigt war. Aber nein, er hatte jetzt keine Lust sich mit ihm auseinander zu setzen. So setzte er sich also, ein paar Tische entfernt und richtete seine Aufmerksamkeit auf das Geschehen auf der Bühne. Er sah sich gerne schöne, makellose Körper an, und die beiden Tänzerinnen wussten die ihren gekonnt in Szene zu setzen. Als eine Bedienung vorbei kam, bestellte er noch einen Scotch. Das Gespräch mit Jesse wischte er bei Seite. Es war zwar ganz interessant gewesen, aber nicht so, dass er jetzt noch wer weiß wie lange darüber nachdenken musste. Schon gar nicht, wenn sich zwei ausgesprochen hübsche Frauen unweit von ihm entblätterten.

Aber er sollte nicht dazu kommen, weder das Ende der Show, noch seinen Scotch richtig zu genießen. Das Mädchen, welches da mehr oder weniger zielstrebig auf ihn zukam, sah so aus, als wisse sie nicht genau, ob sie das, was sie ihm sagen wollte, gut oder schlecht für sie war. Rave ließ die Kleine nicht aus den Augen, die offensichtlich noch zögerte. Doch dann setzte sie ihren hübschen Hintern doch noch in Bewegung und kam zu ihm herüber. Rave kramte in seinem Gedächtnis nach einem Namen für das fein geschnittene Gesichtchen und den dunklen Haaren. Elly … Penny? Er runzelte unwillkürlich die Stirn. EllyPenny setzte sich auf die Lehne seines Sessels und lächelte ihn verführerisch an, aber Rave erkannte den leicht nervös flackernden Blick. Sie war nicht hier, um ihm ihre Dienste anzubieten, sondern um ihm etwas mitzuteilen. „Hi Rave …“ „Hi … Penny?“ Ihrem Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hatte er sich für den falschen entschieden, aber sie gab sich sichtlich Mühe, das nicht zu deutlich zu zeigen. „Eigentlich sollte ich dir jetzt böse sein Rave … weil du meinen Namen vergessen hast.“ tadelte sie ihn sanft. Innerlich rollte er mit den Augen. Er hatte jetzt keine Lust auf solche Spielchen. „Ja, ja … was willst du? Du willst mir doch etwas sagen.“ Im ersten Moment glaubte er, sie wollte es abstreiten, anscheinend hatte sie sich ein wenig mehr erhofft. Aber Rave machte ihr da einen Strich durch die Rechnung.

Mit einem leicht säuerlichen Lächeln rückte sie dann endlich mit der Sprache heraus, auch wenn Rave kaum glaubte, dass es ihn sonderlich interessieren würde. „Okay … deine Freundin … diese Aly …“ Aly? Jetzt horchte er doch auf. Wie kam Elly, wenn sie denn jetzt so hieß, gerade auf Aly? „ … jedenfalls habe ich sie vor einer Weile in einer der Privat-Loungen verschwinden sehen.“ Aly war hier? Er zog eine Augenbraue hoch. „Und sie war nicht allein.“ Elly machte es sichtlich Spaß, ihn auf die Folter zu spannen. Aber Rave spürte schon eine dumpfe Wut in sich aufsteigen. Was machte Aly hier? Sie hatte ihm gesagt, sie hätte heute etwas anderes vor. „Mit wem?“ fragte er gefährlich leise. Aly gehörte zu ihm, war sein Mädchen, hatte mit ihm hier zu sein, und nicht mit jemand anderem in einer der Loungen zu verschwinden. Elly lächelte triumphierend und Rave wusste jetzt schon, dass ihm ihre Antwort überhaupt nicht gefallen würde.

Ezra van Catwin.“ Raves Kopf fuhr herum und er durchbohrte Elly förmlich mit seinem Blick. Die lächelte nun gar nicht mehr und war wohl nicht mehr davon überzeugt, dass es eine gute Idee gewesen war, Rave davon in Kenntnis zu setzen. „Bist du dir sicher?“ fragte er mit mühsam unterdrücktem Zorn. Sie nickte zögerlich, in vollem Wissen, dass es für sie wirklich besser wäre, wenn sie sich nicht täuschte. Mit einer schnellen, fließenden Bewegung stand Rave auf und wollte schon zu den Loungen gehen, als in Ellys Stimme zurückhielt. „Du kommst nicht rein … sie werden wohl nicht so blöd gewesen sein, die Tür offen gelassen zu haben.“ Da hatte sie recht. Er stockte und drehte sich schnell wieder um, in seinen Augen loderte ein gefährliches Feuer. „Dann besorg mir den Zweitschlüssel.“ Beinahe erschrocken schüttelte Elly den Kopf. „Nein, das kann ich nicht machen.“ Er trat wieder zur ihr, ganz nah. „Oh doch, das kannst du, denn sonst siehst du gleich, was ich alles kann.“ Kein Zweifel, wenn es sein müsste, würde er sogar die Tür eintreten. Aly gehörte ihm, niemand hatte das Recht sie anzufassen. Und schon gar nicht Ezra. Welcher Teufel hatte sie nur geritten, sich ausgerechnet mit ihm einzulassen?

Elly war nun auch zu der Überzeugung gekommen, dass ein Rave mit Schlüssel weniger gefährlich war, als ein Rave ohne Schlüssel. „Okay … komm mit.“ lenkte sie ein, und ging mit ihm zur Bar. Dort huschte sie hinter die Theke, wechselte ein paar Worte mit einem der Barkeeper, der ihr dann aus einer Schublade einen Schlüssel reichte. Mit einem etwas unglücklichen Gesichtsausdruck gab sie ihm das kleine blinkende Ding. „Hier … aber bitte Rave, mach keinen Unsinn.“ Er machte sich nicht einmal die Mühe darauf zu antworten, sondern drehte sich einfach um, und schritt nun mit dem Schlüssel zu den Privat-Loungen.

Die Bezeichnungen, die ihm gerade für Aly durch den Kopf gingen, waren für diese alles andere als schmeichelhaft. Wieso tat sie das? Er war weit davon entfernt die Fehler bei sich zu suchen, also richtete sich sein Hauptzorn gegen Ezra. Nein, Aly war mit Sicherheit nicht unschuldig an dem, was hoffentlich noch nicht geschehen war, denn ihm war wohl bewusst, dass ich hinter dem hübschen Gesicht und den blonden Haaren auch ein eigener Wille versteckte, auch wenn er das zu Weilen zu vergessen pflegte. Trotzdem war sein Zorn auf Ezra größer. Denn auch dieser war sich bewusst, wer Aly war, das Aly für ihn Tabu sein sollte. Aber wenn er mit dieser offensichtlichen Provokation anfing, dann würde Rave auch mit einer entsprechenden Reaktion nicht warten lassen.

Kurz kam ihm der Gedanke, dass die ganze Aktion auch ein Fake sein konnte, eine Falle. Vielleicht saß Ezra mit gezückten Pistolen auf der Couch, in freudiger Erwartung ihm eine Kugel in den Schädel zu jagen. Aber so dumm würde Ezra nicht sein, ihn hier im Club zu erledigen. Ihre Feindschaft war kein Geheimnis, es dürfte ihm schwer fallen, eine plausible Erklärung dafür zu finden. Und Mord war selbst an einem Ort wie diesem nicht gern gesehen.

Nach nur wenigen Augenblicken hatte er die Loungen erreicht. Auch wenn er wusste, dass die Tür vermutlich verschlossen war, riss er an jeder Klinke, die ihm in die Finger kam. Die meisten der Loungen waren leer. Nur zwei waren abgeschlossen. Ein Blick auf das an dem Schlüssel befestigte Kennzeichen sagte ihm, dass er sich der linken Tür zuzuwenden hatte. Vorausgesetzt, Elly hatte ihn nicht verarscht, aber das war höchst unwahrscheinlich. Ohne jegliches Feingefühl rammte er den Schlüssel in das Schloss, hörte den Schlüssel auf der anderen Seite zu Boden fallen. Schnell hatte er den Schlüssel herumgedreht und die Tür aufgemachte.

Und da saß sie. Aly. Ihre Hände fuhren über Ezras Rücken, während dieser seine dreckigen Pfoten auf ihre Taille gelegt hatte. Aber nein, er würde weder Aly noch Ezra den Triumph geben, sich jetzt hier als eifersüchtiger Liebhaber aufzuspielen. Beinahe vollkommen gelassen stand er in der Tür, und blickte die beiden stumm an. Aber unter der Fassade brodelte es. Ja, er war eifersüchtig, und wie. Am liebsten würde er sich auf Ezra stürzen und ihn eigenhändig erwürgen, um anschließend Aly mit äußerst überzeugenden Argumenten klar zu machen, dass so etwas nie wieder vorkommen würde. Und Aly würde das sicherlich erkennen. Sie kannte ihn zu gut, um den lodernden Zorn in seinen Augen nicht zu sehen, und das unterdrückte Beben seiner zur Faust geballten Hand.

Er drehte seinen Blick ein wenig, sah nun nur noch den verhassten Ezra an. „Verschwinde.“ forderte er ihn mit ruhiger Stimme auf. Um ihn würde er sich später kümmern, soviel war sicher. Und Ezra würde das wissen. Verschwinde, wenn dir dein erbärmliches Leben etwas wert ist! Jetzt erstmal wollte er sich um Aly kümmern. Nein – schlagen würde er sie nicht, das hatte er noch nie getan, und würde es, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ auch niemals tun. Rave schlug keine Frauen. Nicht, dass das, was er sonst so auf Lager hatte, unbedingt besser gewesen wäre.

Als die Tür mit einem Ruck aufgerissen wurde, hatte Ezra vor Schreck schnell seine Hände zurückgezogen und sich der Tür zugewandt. Rave. Ezra zog scharf die Luft ein. Er hatte zwar damit gerechnet, dass Rave das hier erfahren würde und wenn nicht hätte er sicherlich selbst nachgeholfen, aber das er sie erwischte… nein das war nicht Ezras Plan gewesen. Und er wusste, wie verdammt schief das jetzt laufen könnte. Ein gekränkter Liebhaber war noch um einiges schlimmer als Rave allein. Trotzdem huschte ein knappes arrogantes Grinsen über Ezras Gesicht. Ja, Ezra war wirklich von dieser Gelassenheit etwas eingeschüchtert und doch bereitete es ihm Genugtuung. Ob Rave es zeigte oder nicht, er musste verflucht sauer sein. “Verschwinde…“ ertönte jetzt die ruhige Stimme von Rave.

Und Ezra nickte nur. Langsam stand er auf, nahm sein Hemd, welches er vorher ausgezogen hatte. Doch ließ er sich mit purer Absicht Zeit. Knopf für Knopf und richtig sorgfältig Knöpfte er sein Hemd zu, ohne Rave dabei nicht anzusehen. Dieser schien eine ziemlich gute Beherrschung zu besitzen und Ezra verschaffte es nur noch mehr Freude, diese beherrschte Art bis an die Grenze zu treiben. Als er dann endlich fertig war, hob Ezra seine Pistole auf und steckte sie zu der zweiten in den hinteren Hosenbund. Die übrig gebliebenen ‚Materialien’ von der Drogeneinnahme sammelte Ezra ebenfalls gemütlich auf, steckte sie in die Innentasche seine Jacketts um sich jenes schließlich über zu ziehen. Die leeren Spritzen und den anderen Kram ließ Ezra liegen. Sollte sich doch jemand anderes darum kümmern. Langsam ging er nun auf Rave zu, drehte sich vor ihm jedoch noch einmal nach Aly um. „Man sieht sich…“ Ezra zwinkerte ihr noch zu, jedoch nicht ohne Rave kurz darauf noch anzusehen. Er klopfte ihn auf die Schulter, wie es normalerweise nur unter Freunden üblich war. „Bis gleich.“ sagte er leise und verschwand schließlich aus der Lounge. Dass Rave noch mit ihm abrechnen würde war Ezra vollkommen klar.

Aly bemerkte erst gar nicht dass die Tür aufgerissen wurde. Erst als Ezra nun seine Hände, wie sie fand viel zu schnell, zurückzog, sah auch sie zur Tür. Rave stand da und auf den ersten Blick schien er die Ruhe selbst zu sein, doch sie kannte ihn zu gut und wusste dass es in ihm brodelte, dies verrieten alleine schon seine Augen. Doch weshalb verrieten sie nicht. War es weil er Aly dabei erwischt hatte einen andern Kerl zu küssen, oder war es weil es Ezra war? Insgeheim hoffte sie auf das Erste.

Das Ezra nun, tatsächlich in Ruhe sein Hemd anzog und Raves Auforderung zu verschwinden einfach so nachkam, wurmte nun allerdings Aly etwas, auch wenn Ezra dies in einer derart provokativen Langsamkeit tat, hatte sie irgendwie doch mit etwas Gegenwehr von ihm gerechnet. Allerdings, sie war sich sicher, Ezra würde dies, genauso wenig wie Rave, nicht einfach so auf sich sitzen lassen.

Als er die Lounge schließlich, nachdem er ihr noch zugezwinkert hatte und Rave nur alleine mit dem Klopfen auf dessen Schulter nochmals provozierte, lächelte Aly ihm leicht zu, vermied es aber etwas auf seine Bemerkung hin zu sagen. Besser Raves Zorn nicht noch mehr schüren, weshalb ihr Lächeln daraufhin auch gleich wieder verstarb, als sie zu Rave sah. Dies allerdings nun wieder ohne eine Gefühlsregung zu zeigen.
Sie zupfte ihr Top etwas zurecht und strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Dann nahm sie sich eine Zigarette, zündete sich diese an und wartete ruhig darauf was nun kommen würde.

Wenigstens hatte Ezra den Anstand, Raves Aufforderung nachzukommen. Wenn auch lange nicht mit der gebotenen Eile, die Rave gerne gesehen hätte. Falls Ezra vorgehabt hatte, ihn mit dieser Art noch weiter zu provozieren, dann war ihm das auf ganzer Linie gelungen. Nur am Rande bemerkte er das gebrauchte Drogenbesteck auf dem Tisch, speicherte es unbewusst ab, um später vielleicht noch mal darauf zurück zu kommen. Ezra nicht sein arrogantes Lachen aus dem Gesicht zu schneiden, kostete Rave doch beinahe mehr Selbstbeherrschung, als dieser bereit war aufzubringen. Und das wiederum war schlecht für Ezra … und für Aly.
Dennoch ließ er sich zu keiner weiteren Reaktion herab, verwendete alle Energien darauf, sich nicht dem Drang hinzugeben, sich so aufzuführen, wie er es sich gerade vorstellte. Mit bohrendem Blick verfolgte er jede seiner Bewegungen.

Und dann wäre Raves Selbstbeherrschung beinahe doch noch zum Teufel gegangen. Dass er sich von Aly verabschiedete, hatte er ja noch geahnt, an Ezras Stelle wäre er an dieser Stelle vielleicht sogar noch etwas weiter gegangen, er hätte sich vermutlich noch zu einem Kuss hinreißen lassen. Trotzdem war es gut, dass er Alys Lächeln nicht sah, mit welchem sie Ezra bedachte. Doch dass dieser auch noch die Dreistigkeit besaß, ihn in diesem Zustand zu berühren, ihm auf die Schulter zu klopfen, dass war beinahe mehr, als er verkraften konnte. Pure Mordlust flackerte in seinem Blick auf, als er ihm ein leises: „Worauf du dich verlassen kannst …“ nach flüsterte. Sein Blick blieb einige Sekunden an der ins Schloss fallenden Tür hängen, ehe er sich wieder Aly zuwandte.

Als er sah, wie seelenruhig sie sich eine Zigarette anzündete, und der Dinge harrte, die da kommen würden, flammte noch einmal eine Welle des Zorns in ihm auf. „Zufrieden?“ fragte er kalt, während er mit langsamen Schritten auf die Couch zutrat. Allerdings nicht nah genug an Aly heran, als dass er sie mit einer Armlänge erreicht hätte. Das Verlangen sie zu schlagen war groß, sie solange zu schütteln, bis wimmernd am Boden lag, aber das würde er nicht tun. Nein, diese Art von Zorn gestand er sich nicht zu, nicht für Aly.

Mit ruhigem Blick, wenn innerlich auch aufgewühlt, sah sie ihn an. Selten hatte sie solchen Zorn in seinen Augen gesehen. Zumindest nicht ihr gegenüber.
Doch sie hatte keine Lust ihre Rolle, die sie eben bei Ezra abgelegt hatte, für ihn nun wieder weiter zu führen.
Zumal sie schon gar nicht einsah, das sie vielleicht einen Fehler gemacht hatte. Sie hatte nie irgendeinen Fehler gemacht wenn es um Rave ging. Hatte immer alles gemacht was er verlangt hatte. Und wenn dies nun einer sein sollte, dann sicher nicht ihrer, sondern seiner. Er hatte sie buchstäblich in die Arme eines Anderen gedrängt, auch wenn ihm das nicht bewusst zu sein schien.

"Keine Ahnung," erwiderte sie nun, "bist es du denn wenn du einer dieser Tussen hier gefickt hast?" Ok, nun hatte sie ihn wirklich provoziert. Aber sie war es einfach langsam Leid immer auf den Mund zu sitzen und zu kuschen. Was nun? Dass er sie schlagen würde glaubte sie nicht. Er hatte sie noch nie geschlagen. Allerdings hatte sie ihn auch noch nie so gereizt. Oder würde er sie nun einfach wieder auf die Straße stellen? Nur, wenn er dies machen würde, konnte er sich doch vorstellen dass sie, mit ihrem „Rang“, den sie in dieser Szenen nun hatte, schnell einen anderen, vielleicht sogar Ezra, finden würde, der sie aufnehmen würde. Und wäre es nur um Rave damit eins auszuwischen.

Beinahe hätte Rave gelacht. Obwohl seine Augen immer noch zornig funkelten, verzogen sich seine Lippen zu einem hämischen Grinsen. Was um Himmelswillen versprach sie sich von solch einer Antwort? „Ja, bin ich.“ antwortete er, während sich seine immer noch zur Faust geballte Hand nun zu entspannen begann. Er drehte sich um, ging zurück zur Tür, hob den einen Schlüssel vom Boden auf, schloss die Tür ab, und steckte sich beide Schlüssel in die Hosentasche. Aly würde diesen Raum nicht eine Minute eher verlassen, als es ihm recht war.
Als er zurückkam, und sich unweit von Aly entfernt auf das Sofa niederließ, hatte er sich wieder vollkommen unter Kontrolle, er war entspannt und das zornige Funkeln war einem spöttischem Glitzern gewichen.

„Warum? Warum mit Ezra? Willst du mir eins auswischen? Willst du, dass ich dich rausschmeiße? Das hättest du wirklich leichter haben können.“ Ein Wort, und er hätte sie gehen lassen. Er war sich nicht bewusst, den Eindruck gemacht zu haben, dass er sie gefangen hielt. Dies war auch nicht seine Absicht gewesen. „Was würdest du dann tun? Zu ihm gehen? Oh Aly …“ Er machte beinahe ein bekümmertes Gesicht, aber der grinsende Mund machte den Eindruck zunichte. „Ich bin mir sicher, du würdest dich vor Angeboten kaum retten können.“ Wer würde sich schon die Chance entgehen lassen, ihm einen reinzuwürgen? Aber das würde nicht lange anhalten. Eine abgelegte Freundin war nichts, was man sich lange hielt. Eben nur so lange, bis der Gegner sich damit nicht mehr beeindrucken ließ. Und er war sich ziemlich sicher, dass auch Aly das bewusst war. Zwei-, vielleicht sogar dreimal, je nach Einsatz, würde sie sich so vielleicht durchmogeln können, und dann?

„Glaubst du, dass es dir bei einem anderen besser geht? Bei einem wie Ezra?“ Er schüttelte den Kopf. „Weißt du wo du landen wirst, wenn du dich an diesen erbärmlichen Junkie wendest? Auf der Straße …“ …dort, wo du her gekommen bist. Ezra war einer von den Typen, die noch weniger Gefühl hatten, als Rave. Und das war das einzige, was Rave an ihm bewunderte. Ezra würde, wenn es ihm in den Kram passte Aly höchst persönlich zum schäbigsten Ort fahren, und mit Vergnügen zusehen, wie sie dort langsam verreckte, wenn er sich überhaupt soviel Zeit nahm. Und das war etwas, was Rave so nicht tun könnte. Wenn sie von alleine ging, dann war es ihre eigene Schuld, aber so sehr ihn das auch ärgerte, so hatte er sich mit den Wochen doch an Aly ... gewöhnt? Ja, gewöhnt. Warum auch immer, denn dieses Weib machte es ihm immer öfter alles andere als leicht. Den Großmut, der ihn damals dazu veranlasst hatte, sie mit zu nehmen, hatte er schon oft verflucht.

Ja, bin ich.“ Definitiv nicht die Antwort, die sie hatte hören wollen. Aber sie war ja selbst schuld, was fragte sie ihn ja auch so doof etwas, was sie ja eigentlich wusste. Sie stand auf, "Also, dann wär ich es wohl auch gewesen, wenn du uns nicht zuvor gekommen wärst," schmollte sie nun beinahe schon.

Sie wollte schon Anstallten machen einfach zu gehen als Rave die Tür zuschloss und die Schlüssel einfach einsteckte. Damit hatte sie nun allerdings nicht gerechnet. Eher hatte sie damit gerechnet dass er sie irgendwie schreiend zum Teufel gejagt hätte. Sie setzte sich wieder und zog nun doch etwas nervöser an ihrer Zigarette als Rave sich nun auch setzte und sie fragte weshalb mit Ezra. Weshalb? Ja verdammt noch mal merkte er den immer noch nicht weshalb? "Wieso?" wiederholte sie seine Frage, "Verdammt Rave. Mir ist Ezra doch so etwas von scheißegal, jeder andere Typ ist mir so was von egal. Wieso denkst du bin ich noch bei dir? Sicher, du gibst mir alles was eine Frau sich wünschen würde, du hast mich von der Straße...vom sicheren Tod dort geholt ...Wieso? Wieso hast du das gemacht? Du beweist mir doch tagtäglich dass du genug Frauen haben kannst, wieso also?" Fertig war es mit ihrer Beherrschung und sie musste sich ernsthaft bemühen die Tränen zurückzuhalten. Nicht weil sie ihn beeindrucken wollte, sie würde ihn auch nicht mit Tränen beeindrucken das wusste sie. Aber sie wollte einfach nicht zulassen ihre Gefühle ganz raus zulassen.

Er wusste genau so gut wie sie das sie niemals ernsthaft darüber nachdenken würde zu Ezra oder sonst wem zu laufen. Denn, und das wusste sie auch, Ezra hatte sie nur geküsst um Rave eins auszuwischen. Nicht mehr und nicht weniger. Auch wenn er nun ein anderes Bild von ihr haben würde, so war sie ihm im Endeffekt doch so egal wie alle anderen Frauen hier.

Sie senkte ihren Blick nun, " Scheiße Rave, weist du weshalb? Weshalb ich das gemacht habe? Weshalb ich nicht längst weg bin? Nicht weil ich Angst habe wieder dort zu landen wo ich war...weil ich dich verdammt noch mal ...liebe." So nun war es raus. Sie zog wieder an ihrer Zigarette bevor sie diese fahrig im Aschenbecher ausdrückte. Vermied es aber ihn anzusehen. Nicht weil sie ihn nicht ansehen wollte, sondern weil sie nicht wollte das er in ihre Augen sehen konnte, die nun doch feucht waren.

Scheißegal …jeder andere Typ … bin ich noch bei dir … längst weg bin … nicht weil ich angst habe …weil ich dich … liebe.“ Das war ein Geständnis, mit welchem er nun wahrlich nicht gerechnet hatte. Dabei war das eine wirklich nahe liegende Erklärung, denn Rave war nun mal ein Arsch, und deshalb hatte Aly es wirklich schon sehr lange bei ihm ausgehalten. Stellte sich nun allerdings die Frage, wie es passieren konnte, dass sie sich ausgerechnet in ihn verliebt hatte.

Jedenfalls hatte sie es mit ihrer Ehrlichkeit geschafft, allen Spott aus seinem Gesicht zu vertreiben. Durch sein, durchaus als fassungslos zu bezeichnenden Gesichtsausdruck, flackerte einen winzigen Moment so etwas wie Unsicherheit. Ein Ausdruck, den selbst Aly wohl kaum jemals bei ihm gesehen haben dürfte. Doch schnell hatte er wieder sein normales Gesicht herausgekramt. Nein, Liebe kam nicht in Frage. Wie hatte er das noch so schön formuliert gehabt? Liebe war ein Luxus, denn er sich weder erlauben wollte, geschweige den konnte. Liebe machte schwach, etwas, was in seinem Geschäft praktisch einem Todesurteil gleich kam. Nur Menschen, die einem egal waren, konnten nicht gegen ihn verwendet werden. Aber war sie ihm wirklich völlig egal? Sie sollte es sein. Aber wenn man es genau betrachtete, war sie schon viel zu lange bei ihm. Vermutlich kannte sie ihn so gut wie sonst kein Mensch, außer vielleicht ihm selbst.

So wie sie ihn nicht ansah, so sah er sie auch nicht an. Er brauchte deutlich länger als ihm lieb gewesen wäre, bis ihm etwas einfiel, wie er auf Alys Worte reagieren konnte. Und selbst, als er sich dann zu etwas entschieden hatte, war er nicht wirklich zufrieden damit. „Aly … da hast du dir … echt den Falschen für ausgesucht.“ Das klang weitaus weniger locker, wie er sich das eigentlich vorgestellt hatte. Alys Worte hatten ihn erstaunlich tief getroffen. Tiefer, als er sich eingestehen wollte. Genauso wie ihre durchaus berechtigte Frage. Warum hatte er sie gerettet, warum hatte er sie nicht in der Gosse verrecken lassen? Eine Frage, die er sich bisher nicht gestellt hatte, weil er keine Antwort darauf wusste. Ein schwacher Moment vielleicht, geistige Umnachtung … oder Sehnsucht nach Familie, jemandem, der ihm dass zurückgab, was er freiwillig verlassen hatte. Nein, sicher nicht! Das passte nicht zu ihm, passte nicht in das Bild, welches er so mühsam von sich gezeichnet hatte.

Er hob seinen Blick, und sah sie nun wieder an. Was würde sie jetzt tun, jetzt, nachdem sie das, was sie vermutlich niemals hatte zugeben wollen, ausgesprochen hatte? Würde sie nun gehen wollen? Langsam griff er in seine Hosentasche und holte einen der beiden Schlüssel wieder zum Vorschein. Er legte ihn zwischen sich und sie auf die Couch. Er räusperte sich, um zu seinem gewohnten Tonfall zurückzufinden. „Dir steht … es frei zu gehen.“ Und dabei wollte er das nicht einmal.

Ein Schweigen breitete sich zwischen ihnen aus. Ein Schweigen womit sie nun nicht gerechnet hatte. Bis endlich Worte kamen die zwar schmerzten aber die sie eigentlich vermutet hatte „Da hast du dir … echt den Falschen für ausgesucht.“ Natürlich hatte sie das, das wusste sie selbst, dennoch konnte sie nichts für ihre Gefühle. Sie hatte sich diese weiß Gott nicht ausgesucht.

Und doch, hatte sie nur das Gefühl das seine Antwort zögerlich gekommen war? Sie kannte ihn wirklich langsam gut, doch so wie er sich im Moment gerade verhielt, war doch irgendwie untypisch für ihn. Sie hatte irgendwie mit einer anderen Reaktion gerechnet. Das er sie auslachen würde, das er sie als naiv und dämlich abstempeln würde, sie verspotten würde. Aber nichts dergleichen, einfach nur dieser eine Satz.

Langsam hob sie ihren Blick nun wieder und wischte sich schnell mit ihrer Hand über die Augen. Er sah irgendwie verändert aus, nichts war mehr von dem Zorn oder dem Spott zu erkennen, ja für einen winzig kleinen Augenblick hatte sie beinahe das Gefühl so etwas wie Unsicherheit zu erkenne, doch das konnte nicht sein, oder? Nicht bei Rave.

Als er nun den Schlüssel aus der Hose nahm und ihn zwischen sich und ihr auf die Couch legte sah sie kurz auf diesen, bevor sie bei seinen Worten wieder zu ihm sah. Er schien sie einfach nicht begriffen zu haben...oder er wollte sie nicht begreifen. Sie hatte nicht vor zu gehen. Er musste doch wissen, dass sie trotz seiner Aussage, nicht vor hatte ihn zu verlassen. "Willst du, dass ich gehe?" Wenn er das wollte dann würde sie gehen, wenn nicht...war das dann nicht so etwas wie eine kleine Bestätigung das sie ihm doch nicht egal war?

Nein, er wollte nicht, dass sie jetzt ging. Es verschiedenen Gründen. Andererseits konnte er das ja jetzt wohl schlecht zugeben. Die Show, die er da gerade abgezogen hatte, hatte schon genug an seinem Image gekratzt. Es war völlig unnötig sich einzureden, dass Aly nichts bemerkt hatte. Selbst ein Mensch, der ihn weniger gut kannte als sie es nun mal tat, hätte erkennen müssen, dass irgendetwas anders gewesen war.
„Nein .. ja, oder nein… was spielt das für eine Rolle?“ meinte er, während er ihr in die Augen sah. Zwing mich nicht, dir auf diese Frage eine ehrliche Antwort zu geben. Denn mehr als das, war er eben gesagt hatte, würde sie jetzt nicht bekommen. Sie würde das so annehmen müssen, würde sie jetzt weiter fragen, dann würde er weiter abblocken.

Er wünschte sich jetzt einen Drink, einen Scotch, am besten einen doppelten. Ihm gefiel die Situation, in die er sich gepresst sah, ganz und gar nicht. Er hatte nicht das Gefühl, als hätte er alles unter Kontrolle, und das war er nicht gewohnt, dass sich etwas seiner Kontrolle entzog. Ein Zustand, den er dringend ändern musste. Normalerweise wäre er jetzt zur Bar gegangen und hätte sich dort etwas zu trinken bestellt, Aly hätte er mitgenommen, aber er wusste nicht, ob Ezra nicht vielleicht da noch rumschwirrte. Nicht, dass er einer Konfrontation grundsätzlich aus dem Weg gehen wollte, aber er war gerade noch nicht ganz auf der Höhe. Zudem wollte er sich Ezra vornehmen, wenn er Aly weit weg wusste. Nicht, dass sie noch zu glauben begann, dass er das wegen ihr tat. Nein, das war vielmehr, weil Ezra ihn provoziert, nahezu herausgefordert hatte.
Die Konfrontation, die daraus folgte, war schon lange fällig gewesen, und jetzt hatten sie endlich einen Grund. Dass dieser Grund Aly hieß, spielte nur eine nebensächliche Rolle. Jedenfalls konnte er sich das einreden, wenn er das brennende Gefühl der Eifersucht ignorierte, welches er gespürt hatte, als er sie in seinen Armen gesehen hatte. Doch auch dafür ließ sich notfalls noch eine Erklärung finden. Immerhin war es Raves „Eigentum“ gewesen, an dem Ezra sich vergriffen hatte.

Auf der anderen Seite würde es sicherlich auch wieder Eindruck machen, wenn er mit Aly an seiner Seite zurück in die Bar kam. Einer Aly, die freiwillig mitkam, und nicht irgendwie den Eindruck machte, als hätte er ihr gedroht, sie geschlagen oder sonst etwas getan. Auch, wenn sie es irgendwie immer noch verdient hatte. Ein bisschen ruckartig stand er auf. „Komm, wir gehen was trinken.“ forderte er sie auf. Dass er sie bat, konnte sie nicht verlangen. Den einen Schlüssel lies er achtlos auf dem Sofa liegen, dann schritt er zur Tür, und schloss diese mit dem anderen auf, kurz sah er sich noch um, wollte sich vergewissern, ob sie ihm auch tatsächlich folgte. Dann trat er aus der Lounge.

Auch wenn seine Antwort alles andere als deutlich ausfiel so hatte sie doch das Gefühl das er nicht wollte dass sie ging. Und sie würde auch nicht gehen. Warum nur machte er sich eigentlich alles selbst so schwierig? Warum konnte er nicht einfach einmal offen irgendwelche Gefühle zeigen? Weil er Rave war...und Rave tat so was nicht. Ihr blieb nichts anders übrig als sich mit dieser Antwort, zumindest vorübergehend, zufrieden zu geben.

"Du wusstest doch genau das ich bleiben werde, nicht?" sie seufzte. Vermutlich war es ein Fehler gewesen ihm ihre Gefühle zu gestehen, hatte er nun doch etwas was sie nur noch mehr an ihn band. Und doch war sie irgendwie froh es ihm endlich gesagt zu haben, selbst wenn sich für ihn dadurch nichts ändern würde. So würde sie ihm in dieser Hinsicht zumindest nichts mehr vorspielen müssen.

Als er nun aufstand und einfach bestimmte das sie nun was trinken gehen sollte, blieb sie noch einen Moment sitzen. Eigentlich wäre sie nun lieber hier geblieben, oder nach Hause gegangen. Einerseits weil sie nicht unbedingt Lust darauf hatte in die Bar zurück zugehen, anderseits weil sie nicht darauf erpicht war Ezra zu sehen. Was würde er denken wenn er sie mit ihm sah? Aber im Grunde konnte ihr Ezras ja egal sein. Dennoch hatte sie im Moment einfach keine Lust auf eine erneute Konfrontation mit ihm.

Schließlich aber stand sie doch ohne Widerrede auf. Die Wirkung des Heroins, zumindest die euphorische, war gänzlich verflogen. Würde sie sich diese halt mit Alkohol zurückholen. "Ok“, meinte sie nur, beinahe schon wieder so brav wie die alte Aly und folgte ihm runter in die Bar.

Zufrieden bemerkte er, dass Aly ihm widerstandslos folgte. Auf dem Gang verlangsamte er seine Schritte solange, bis sie mit ihm auf einer Höhe war. Einen Moment lang spielte er mit dem Gedanken, Aly den Arm um die Taille zu legen. Natürlich um Ezra zu zeigen, dass sie nur ihm gehörte. Aber aus unterschiedlichen Gründen verwarf er den Gedanken wieder und tat es nicht. Als sie in den Hauptraum traten, zuckte sein Blick blitzschnell durch den ganzen Raum, aber nicht ohne Genugtuung stellte er fest, dass Ezra nicht zu sehen war. Weder an der Bar, noch an sonst einem Ort, den er hatte überblicken können.
Allerdings war es an der Bar recht voll, und Rave verspürte gerade wenig verlangen, sich zwischen die Menschen zu stellen. Als schwenkte er kurz vor der Bar ab, und steuerte nun auf die Sitzecke am Rande des Raumes zu.

Als er einen freien Platz erspäht hatte, der ihm zusagte, steuerte er darauf zu. Er ließ Aly den Vortritt und setzte sich dann selbst auf die schwarze Ledercouch. Mit einem ungeduldigen Winken machte er eine Bedienung auf sich aufmerksam. Als das Mädchen heran geeilt kam, bestellte er sich den doppelten Scotch und ließ Aly dann etwas bestellen, sofern sie wollte. Als er der Kellnerin kurz mit den Blicken folgte, ohne einen bestimmten Grund, blieb sein Blick kurz an Elly hängen, die ihn von der Bar er zu beobachten schien. Er wandte den Blick wieder ab, was interessierte es ihn schon, was Elly nun über ihn dachte. Falls Elly überhaupt dachte, was er manchmal stark bezweifelte. Nicht in jedem hübschen Köpfchen steckte auch Hirn. Unwillkürlich drehte er sich wieder zu Aly um.

Rave hatte Aly den Vortritt gelassen und so setzte sie sich nun, Zufall oder auch nicht, auf eben diesen Platz auf dem sie ein paar Stunden zuvor noch mit Ezra gesessen hatte. Sie wartete darauf das Rave bestellte und schloss sich dann seiner Getränkewahl an. Als die Kellnerin zurück zur Bar stöckelte sah sie ihr kurz ebenso nach wie Rave wobei sie sah wie dessen Blick auf Elly fiel. Ebenfalls eine Bedienung hier. Aber, wie sie fand, einer der wenigen die auch etwas in ihrem Köpfchen hatte. Sie seufzte als sie sah wie Rave sie länger als ihr lieb war ansah. Aber was sollte sie machen?

Leicht frustriert nahm sie ihre Zigaretten raus und steckte sich eine an als ihr Blick auf die Zeitung, die immer noch vor ihr auf dem Tisch lag, fiel. Sie stutzte. Es war nur ein kleiner Abschnitt der ihre Aufmerksamkeit erregte. Doch was sie nun las, lies sie immer bleicher werden:

Suizid oder Mord?

NY- Gesternabend wurde im Central Park die Leiche einer jungen Frau gefunden. Wie die Polizei berichtet war die Todesursache der jungen A.C.* eindeutig eine Überdosis. Allerdings ist unklar ob es sich hierbei um einen Suizid oder um Mord handelt. Eine Bekannte hatte laut Polizei ausgesagt, dass A.C.* sich mit einer Freundin treffen wollte welche sie von der Straße holen wolle. Sie sagte weiter aus, dass sie sich sicher sei, das A.C.* keinerlei Selbstmordgedanken gehegt hatte obwohl sie scheinbar seit Jahren schon drogenabhängig war und man sie in der Drogenszene kannte. Auffallend war zudem, das Spuren einer Gewaltanwendung an ihrem Körper gefunden wurden, was den Verdacht erhärtet, dass sie ermordet wurde. Die Polizei versucht nun die besagte Freundin zu finden, mit der sich A.C.* treffen wollte. Zudem ruft sie die Bevölkerung auf, sich bei ihnen zu melden, falls jemandem zwischen 22 Uhr und 24 Uhr etwas Merkwürdiges im Central Park aufgefallen ist.
*Name der Redaktion bekannt

Langsam ließ Aly die Zeitung sinken. Sie hatte das Gefühl als ob sich alles um sie drehen würde. A.C.... Alex Carter. Mein Gott...warum nur hatten sie sich nicht für gestern verabredet? Aber wer hatte sie...nein sie wollte nicht einmal daran denken. Es war ihre Schuld. Hätten sie sich eher verabredet, wäre Alex nun bei ihnen und nicht...tot. Tot...Alex ihre einzige richtige Freundin die sie je hatte. Das durfte einfach nicht sein...das konnte nicht sein. Sie hob die Zeitung erneut, las den kurzen Artikel wieder und wieder. Doch es änderte sich nichts daran. Alex war tot. Und die Polizei suchte sie. Sie sah kurz Zu Rave und stand dann auf, „Entschuldige mich...kurz.“

Sie wusste nicht wie, aber irgendwie brachten ihre Beine sie bis zur Toilette. Doch kaum war sie in dieser, sank sie der Wand entlang auf den Boden, stützte ihren Kopf in ihre Hände und wurde sofort von einem heftigen Weinkrampf geschüttelt. Die Tränen flossen ihr über die Wangen und es war ihr egal, dass ihr Make Up dabei total verschmierte. Erst nach einer Weile beruhigte sie sich langsam wieder. Versuchte es zumindest. Und schließlich rappelte sie sich wieder, an der Wand abstützend, auf. Sie würde mit Rave sprechen müssen, wenn die Polizei sie wirklich suchte... allerdings…vielleicht wäre es besser ihm vorerst nichts davon zu erzählen. Vielleicht würde die Polizei sie ja auch gar nicht finden. Immerhin, es war nichts davon in der Zeitung gestanden das sie wussten mit wem genau sich Alex treffen wollte. Nein sie würde ihm nichts erzählen. Zumindest noch nicht.


Langsam schloss sie die Tür zur Toilette wieder auf und sah sich im Raum um. Es schien niemand hier zu sein. Gut. Sie hatte keine Lust auf irgendwelche Erklärungen. Sie ging zum Waschbecken und spritze sich etwas kaltes Wasser ins Gesicht, dann versuchte sie mit etwas Schminke, den Schaden den die Tränen angerichtet hatten wieder zu beheben, bevor sie so gefasst wie möglich wieder zurück zu Rave ging. Nicht allerdings vorher bei der Bar halt zu machen und sich einen doppelten Scotch rein zuziehen. Langsam hatte sie das Gefühl wieder etwas ruhiger zu werden auch wenn ihre Hände immer noch zitterten und sie sich zusammennehmen musste um nicht wieder los zu heulen. Stumm setzte sie sich wieder neben Rave, zündete sich eine Zigarette an und starrte einfach nur geradeaus.

Aly rauchte zuviel. Überhaupt … Aly nahm zu viele Drogen … es wurden immer mehr. Und er besorgte sie ihr. Das war Teil ihres ungeschriebenen Vertrages. Und sie trank auch zuviel. Das waren alles Laster, von denen er sich frei sprechen konnte. Er rauchte selten, nahm keine Drogen und trank auch nie soviel, als dass es ihm zu sehr in den Kopf steigen würde. Jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit, zu großes Risiko.
Er seufzte leise, und starrte gedankenverloren vor sich hin, während Aly völlig fasziniert von der Zeitung, welche auf dem Tisch lag zu sein schien. Zu hause las er hin und wieder auch schon einmal Zeitung, aber eher seltener. Seiner Meinung nach standen dort viel zu viele schlechte Nachrichten drin. Aber gerade die sollten es ja eigentlich sein, die ihn interessierten. Denn letztendlich verdiente er auch damit sein Geld. Drogen, Mädchenhandel … keine Schlagzeilen für den fröhlichen Guten Tag Anzeiger.

Er schreckte aus seinen Gedanken auf, als sich Aly auf einmal stammelnd entschuldigte. Mit hochgezogenen Augenbrauen sah er ihr nach. Was war denn das jetzt? Es dauerte nicht allzu lang, bis im die Idee kam, dass es vielleicht mit der Zeitung zu tun haben könnte, beziehungsweise vielmehr mit dem Inhalt. Aber es waren zu viele große und kleine Artikel auf der Seite, als dass er gewusst hätte, welcher jetzt genau Alys merkwürdige Reaktion hervorgerufen hatte. Aber er kam zu dem Schluss, dass er das wohl besser herausfinden sollte. Denn wenn es eine Angelegenheit war, die in den Medien stand, dann wollte er lieber darüber bescheid wissen, auch wenn es sich letztendlich vielleicht nur um eine Lappalie handelte.

Nur durch Zufall sah er, wie Aly nach einer Weile zurückkam. Er sah grad aus Langeweile zur Bar, als er ihrer gewahr wurde, wie sie sie eben genau dort einen Drink in sich hineinschüttete. Wortlos kam sie anschließend zurück und setzte sich wieder auf ihren Platz. Als sie sich direkt wieder eine Zigarette anzündete war wohl klar, dass sie nicht vorhatte, ihm irgendetwas mitzuteilen. Er warf ihr einen scharfen Blick zu, erkannte, dass sie immer noch ziemlich aufgewühlt zu sein schien, vermutlich sogar geweint hatte. Er griff nach seinem Glas, welches die Bedienung mittlerweile gebracht hatte, und trank bedächtig einen Schluck, allerdings ohne sie aus den Augen zu lassen.

Und nur, weil heute Abend sowieso alles irgendwie komisch war, verzichtete er darauf, jetzt sofort auf der Stelle herauszufinden, worum es genau ging. Er beschränkte sich auf einen Kommentar am Rande. „Wenn es etwas wäre, was für mich wichtig ist, dann gehe ich davon aus, dass du es mir sagen würdest.“ stellte er fest, wobei auch eine kleine Frage darin mitschwang. Grundsätzlich glaubte er das wirklich, aber Aly war halt eine Frau, und bei Frauen konnte man sich nie ganz sicher sein. „Vielleicht sollten wir nach Hause gehen.“ Genug für einen Abend.

Ihr Blick war zwar starr auf die Bar gerichtet, doch was dort vor sich ging sah sie nicht. Zu sehr waren ihre Gedanken bei Alex. Und so sehr sie auch versuchte ruhiger zu werden, sie schaffte es einfach nicht. Selbst der Drink hatte nicht geholfen. Immer wieder kreisten ihre Gedanken um das Warum. Wieso ausgerechnet Alex. War es ein Zufall? War sie einfach zur falschen Zeit am falschen Ort? Oder war es ein willkürlicher Mord? Denn dass es Mord war davon war sie überzeugt. War es vielleicht sogar jemand aus ihrem Umfeld der nicht wollte dass sie sich trafen? Aber weshalb? Jeder der sie kannte, wusste das sie mit niemandem über irgendwelche Informationen, die sie hier oder Zuhause über Rave oder seine Geschäfte aufschnappte, aus plaudern würde. Erstens weil sie in dieser Beziehung einfach loyal war und zweitens weil sie Raves Geschäfte meistens nie groß interessierten. Und das Alex ihr irgendetwas mitteilen wollte, das konnte sie sich auch nicht vorstellen. Sicher Alex kannte sich gut aus in dieser Szene, aber im Endeffekt war sie auch nie mehr als ein Straßenjunkie gewesen, so hart dies auch klingen mochte. Warum also?

Erst als Rave sie ansprach, wandte sie ihren Blick wieder langsam ihm zu. War es etwas was wichtig für ihn war? Sie war sich nicht sicher, eigentlich ging es mehr um sie. Aber war es nicht auch so das, was sie betraf, auch ihn betraf? Konnte sie ihm vorenthalten dass man nach ihr suchte? Würde man sie denn tatsächlich finden - was sie zwar nicht annahm, aber man wusste ja nie - würde dann der Verdacht nicht automatisch auf sie oder Rave fallen?

Sie kaute auf ihren Lippen, nahm dann ihr Glas, welches die Bedienung in der Zwischenzeit gebracht hatte, und leerte dieses, wie schon das vorige an der Bar, in einem Zug aus. Ja sie wollte nach Hause, wollte sich am liebsten im hintersten Winkel des Schlafzimmers verkriechen, und sie wusste, sie würde es Rave doch sagen, oder besser zeigen müssen was passiert war. Stumm griff sie wieder zu der Zeitung und hielt sie ihm hin. Mit dem Finger deutete sie auf den kleinen Abschnitt, "Hier..."

Stirn runzelnd betrachtete er sie, biss sie schließlich mit ihrem Finger auf einen kleinen Artikel in der Zeitung deutete. Rave griff danach und las das kurze Textstück aufmerksam durch. A.C. Er kramte in seinem Gedächtnis danach, kannte er eine Mädchen, welches die Initialen A.C. hatte? Unwahrscheinlich, laut Zeitungsartikel war das Mädchen ein Junkie gewesen, vielleicht so jemand wie Aly es gewesen war. Er hatte so gut wie nichts mit den Endkonsumenten der Drogen zu tun, die er besorgte. Dafür verabscheute er die abgewrackten Menschen, sofern man sie denn nach langem Drogenkonsum noch so nennen mochte, viel zu sehr. Er trat nur mit den Leuten in Kontakt, die die Drogen schließlich auf der Straße vertickten, manchmal nicht mal dass, sondern mit anderen Bossen von kriminellen Gruppierungen, die den Stoff dann an ihre Dealer verteilten. Trotzdem war auch er es, der sozusagen mit dem Tod handelte, dem Tod auf Raten.

Ein wenig irritierend mochte diese Einstellung, für einen der bekanntesten Drogenhändler sein, aber Rave war in diesen Dingen eben eigen. Genauso verabscheute er auch Gewalt gegenüber Frauen, obwohl er auch bei Mädchenhandel mitmischte, was letztendlich mit viel Gewalt zu tun hatte. Aber nur, weil er damit seinen Lebensunterhalt verdiente, musste er es ja nicht lieben. Jedenfalls nicht alles, denn er konnte durchaus von sich behaupten, mit seinem Leben zufrieden zu sein.

Alex. fiel es ihm plötzlich ein. Hatte Aly nicht mal von einer Alex erzählt, bei der sie eine Zeit lang gewohnt hatte? Tja, wenn dem so war, dann war der Zeitungsartikel für Aly also eine schlechte Nachricht. Immerhin hatte sie dann so was wie eine Freundin verloren. Und genau aus solchen Gründen hatte Rave keine Freunde, keine Menschen, die ihm Nahe standen. Viel zu nah stand der Sensemann, heimtückisch lauerte er überall.
Aber jetzt war weniger Alys Trauer sein Problem, sondern vielmehr der Hinweis der Polizei, dass sie eine Freundin von A.C. suchten, mit der diese sich hatte angeblich treffen wollen. War Aly diese Freundin? Und wenn, was bedeutete das für ihn? Wenn Aly vorhatte, sich bei der Polizei zu melden, dann stellte sie ein Risiko für ihn da.

Er hatte nicht so große Sorge, dass sie etwas über ihn ausplauderte, aber bei einem Mord würde die Polizei Nachforschungen anstellen, und was dabei herauskam war unter Umständen schlecht. Auch, wenn Rave noch bezweifelte, dass es sich tatsächlich um Mord handelte. Es verging kein Tag, an dem sich nicht mindestens einer dieser Junkies einen goldenen Schuss verpasste. Nein, Aly durfte nicht zur Polizei gehen. Seine Miene hatte sich verfinstert, und als er die Zeitung wieder bei Seite legte, sah er nicht mehr wirklich zufrieden aus. „Du wirst nicht zur Polizei gehen. Und du wirst dich von sämtlichen Orten fern halten, an denen du mit Alex in Verbindung gebracht werden könntest. Es geht doch um sie, oder nicht?“ Er wusste nicht, ob Aly damit einverstanden sein würde. Frauen hatten die Angewohnheit, bei so etwas sehr sentimental zu reagieren. Aber zur Not würde er Aly anbieten, seine Beziehungen spielen zu lassen, um etwas über Alex Tod herauszufinden.

Wieder saß sie nur stumm da während Rave den Artikel las. Außer dem Klick des Feuerzeugs welches sie benutze um sich eine erneute Zigarette anzuzünden, kam kein Laut von ihr. Sie sah ihn an, versuchte etwas aus seiner Mine zu lesen. Doch sie konnte nichts erkennen, zumindest nicht so lange er las.

Doch je länger sie ihn ansah, und je langer er da saß und nichts sagte, nur die Zeitung fixierte, um so mehr bekam sie Angst das er sie wegschicken würde. Immerhin war sie nun eine Gefahr für ihn. Und erst als er sie endlich wieder ansprach, entspannte sie sich wieder etwas. Er schickte sie nicht weg, doch er verlangte von ihr zu keinem der Orte zu gehen, die sie mit Alex in Verbindung brachte. Natürlich würde sie nicht zur Polizei gehen. Das wäre das letzte was sie machen würde. Aber sie musste raus finden was mit Alex geschehen war. Das war sie ihr einfach schuldig.

"Ja Alex..." sie schluckte weil sie fühlen konnte wie, nun beim aussprechen ihres Namens, ein erneuter Kloß in ihrem Hals hochstieg. Sie senkte ihren Blick leicht und blinzelte um die Tränen, die ebenfalls drohten erneut aus ihren Augen zu laufen, zu unterdrücken. Dann sah sie ihn wieder vorsichtig an, "Ich werde nicht zur Polizei gehen, ich verspreche es..." das sie allerdings nicht auf eigene Faust versuchen würde herauszufinden was passiert war, das konnte sie nicht versprechen. Doch sie würde schon vorsichtig genug sein. Würde nichts riskieren was Rave schaden könnte. Erneut schluckte sie kurz und sie wünschte sich sie hätte noch einen Drink mit dem sie den Kloß runterspülen konnte. Doch ihr Glas war leer und sie wollte sich nicht noch einen Drink bestellen. Sie wollte nur noch nach Hause...

Nein, Nachforschungen anstellen würde er so oder so, er wollte sich keine Nachlässigkeit erlauben. Zu wertvoll war ihm seine Freiheit, als dass er sie wegen einer übersehenen Kleinigkeit verlieren wollte. Und als positiven Nebeneffekt, würde er Aly damit vermutlich der Ungewissheit über das Schicksal ihrer Freundin nehmen. Solche Ungewissheiten über das Schicksal geliebter Menschen konnte einen auf die Dauer wirklich fertig machen. Aber das war nichts, was Rave jemals eingestehen würde, weder anderen gegenüber, noch sich selbst. Genauso wenig, wie er darüber sprechen würde, dass er sich in regelmäßigen Abständen über den Zustand seiner Familie informierte. Etwa zweimal im Jahr. Mehr war, seiner Meinung nach, beim besten Willen nicht drin.

Missvergnügt runzelte er die Stirn. Der ganze Abend war letztendlich beschissen gewesen. Erst das erfolglose Gespräch mit Jesse, dann Ezras dreckige Pfoten an Aly, die Tatsache, dass sie nun auch noch polizeilich gesucht wurde … und tja, dass sie ihm ihre Liebe gestanden hatte. Eigentlich eine Nichtigkeit, etwas, worüber er müde lachen sollte, um sich dann nicht länger darüber Gedanken zu machen – so zumindest die Theorie. Er griff in seine Hosentasche, holte sein Handy heraus und wählte eine Nummer.
Als sich eine Stimme meldete, sprach er ein paar halblaute Worte, legte dann auf und steckte das kleine schwarze Ding wieder zurück. Dann leerte auch er sein Glas. Während er einen Schein unter den Aschenbecher schob, erhob er sich von seinem Platz. „Komm, wir gehen.“

Es war bereits spät, oder schon wieder früh, und es gab wohl kaum etwas, was diese Nacht noch retten konnte. Außer vielleicht, wenn Jesse plötzlich ankäme, um ihm ein Angebot zu machen … aber obwohl, nein, da war er auch nicht mehr in Stimmung zu. Und das lag mit ziemlicher Sicherheit auch an Aly. Kaum zu glauben, aber wahr.
Er seufzte leise, während er mit ihr auf den Ausgang zusteuerte. Am Telefon hatte er den Shuttleservice des Hotels angerufen, in dem er als Dauermieter wohnte, denn er hatte zum selber fahren zuviel getrunken. Und genau aus diesem Grund, war er auch gar nicht mit seinem Wagen her gekommen. Allerdings mussten sie so noch ein paar Schritte laufen, da sich Rave so gut wie nie direkt vor dem Club abholen ließ.

Der ungemütliche Herbst empfing sie mit Wind und Nieselregen. Jetzt ärgerte er sich, dass er das Taxi nicht direkt zum Club beordert hatte, aber daran ließ sich nun kaum noch etwas ändern. Er warf einen kurzen Blick auf Aly, legte ihr nun den Arm um die Hüfte, und ging dann mit schnellen Schritten zu dem verabredeten Platz, wo das Auto erfreulicherweise schon auf sie wartete.

Sie sah ihn immer noch unsicher an, doch er äußerte sich nicht weiter zu der Sache, obwohl sie ihm seinen Missmut und seine schlechte Laune sehr gut ansehen konnte. An und für sich nichts ungewöhnliches, er war öfters schlecht gelaunt, nur war es nie wegen ihr gewesen. Im Gegenteil, sie hatte ihn in solchen Fällen immer aufgemuntert. Doch in dem Fall würde sie das wohl kaum können.

Als er schließlich den Shuttleservice des Hotels anrief, war sie nur noch froh endlich hier raus zu kommen.
Einfach nur unter die Bettdecke kriechen, nichts mehr hören, nichts mehr sehen und am liebsten auch nicht mehr denken. Nachdem er sein Handy wieder versorgt hatte und die Bezahlung der Drinks unter den Aschenbecher gelegt hatte, stand sie, seiner Aufforderung folgend, auf und verließ mit ihm zusammen den Club.

Irgendwie hatte Rave die Angewohnheit das Taxi nie bis vor den Club zu bestellen, weshalb wusste sie auch nicht so genau. Auf jeden Fall musste sie noch ein ganzes Stück laufen. Und dieses Stück stellte sich heute Nacht als recht anstrengend heraus. Einerseits weil sie sich kaum mehr auf den Beinen halten konnte, was nach dem heutigen Drogen - und Alkoholkonsum und auch der Aufregung kein wunder war, anderseits schien ein heftiger Herbststurm aufzukommen. Der Wind blies ihr immer wieder das lange Haar ins Gesicht und der leichte Nieselregen lies sie leicht schaudern. Sie war froh als Rave ihr den Arm um die Taille legte, so stütze er sie, wenn auch unbewusst, zumindest etwas. Als sie das Taxi erreicht hatten stieg sie sofort ein und kauerte sich leicht zitternd in den Sitz. Kein Ton war mehr über Raves Lippen gekommen, seit sie den Club verlassen hatten und auch auf der Fahrt zum Hotel schwiegen sie einander nun an.


Sie sah aus dem Fenster des Taxis, sah die Lichter der Großstadt, die Lichter die sie einst so fasziniert hatten. Die großen Leuchtreklamen am Broadway, die Cafés und Bars die die ganze Nacht geöffnet hatten.
Sie sah junge und alte Menschen, Touristen die all die Farben und die Stimmung auf Fotos festhielten um sie dann später, Zuhause, sorgsam in Fotoalben zu kleben. Sie sah Menschen die lachten, das Leben genießen, das Rockefeller Center, die Trinity Church, die auch um diese Zeit noch so manchem einsamen Schäfchen die Tür aufhielt. Ja sie konnte das Leben sehen. Überall um sie, konnte den Puls dieser Stadt fühlen, den auch sie einst angezogen hatte. Diese Stadt die Gegensätzlicher nicht sein konnte. Die es verstand den Glanz und den Glamour ebenso zu präsentieren, wie das Elend zu verschweigen. Kein echter New Yorker würde je zugeben dass diese Stadt genau so schlecht wie schön sein konnte. Nein New Yorker waren stark. Und New Yorker schafften alles, rappelten sich immer wieder auf, selbst nach Tragödien wie 9/11. Sie hielten zusammen. Oh ja, keinem sollte es in dieser Stadt schlecht gehen. Doch wo waren alle diese schönen Worte wenn man in den Underground von New York ging? Wenn man durch die Metroschächte lief, oder über den Drogenstrich? Wenn man sich in Harlem wieder fand in mitten von Straßenkämpfen? Oh ja, denn auch das war New York... Fernab von den Lichtern der Großstadt verborgen im Dunkeln.

Erst als das Taxi vor dem Hotel anhielt und der Portier kam um ihr die Tür aufzuhalten kehrte sie langsam wieder in die Welt zurück in der sie nun war. Eine Welt irgendwo zwischen den Lichtern und der Dunkelheit.
Immer noch schweigend stieg sie aus und folgte Rave hinauf in die Suite.

Der Portier hielt ihnen höflich die Tür auf, Rave würdigte ihn keines Blickes. Und der Portier war, wenn er ehrlich war, auch froh darüber. Denn die wenigen Male, in denen er bei Rave Beachtung gefunden hatte, waren ihm nicht in guter Erinnerung geblieben. Die Dame an der Rezeption nickte ihnen typisch nichtssagend-freundlich zu, und wünschte ihnen halblaut eine gute Nacht. Auch sie beachtete Rave kaum. Er ging direkt zum Fahrstuhl, seine Dauersuite befand sich im obersten Stockwerk, und nicht mal, wenn er gerade seine sportlichen fünf Minuten hatte, kam es ihm in den Sinn, die etlichen Etagen hoch zu laufen. Und selbst runter lief er meistens nur ein paar Stockwerke, einfach, weil es dann eine halbe Ewigkeit dauerte, bis er endlich unten war.
Jedenfalls wählte er nun die entsprechende Etage aus, und fuhr mit Aly nach oben.

Die riesige Suite war dunkel als sie sie betraten. Erst als er den Lichtschalter betätigte, erstrahlte der riesige Raum in angenehmen, nicht zu grellem Licht. Rave hatte die Suite nach seinen speziellen Wünschen umbauen lassen, und dabei auf eine vielseitige Beleuchtungstechnik geachtet. Er fand es praktischer in einem Hotel zu wohnen, als in einem eigenen Haus. Er lebte hier nun schon seit gut einem Jahr und war bisher äußerst zufrieden.
Seinen Mantel hängte er an der Garderobe auf, ging dann auf direktem Weg zur Minibar, und schenkte sich noch einen Scotch ein. Nachdem er einen Seitenblick auf Aly geworfen hatte, machte er ihr auch einen, auch wenn er der Meinung war, dass sie bereits genug getrunken hatte. Aber auf einem mehr oder weniger, kam es vermutlich auch nicht mehr an. Dann kam es ihm in den Sinn, dass Aly vielleicht lieber direkt schlafen wollte. Fragend sah er sie an, und deutete auf die beiden Gläser. „Noch einen vor dem Einschlafen?“

Dann nahm er die beiden Gläser, stellte sie auf den kleinen Glastisch und setzte sich aufs Sofa. Mit einem leisen Seufzer lehnte er sich in die Kissen. Er fühlte sich müde, frustriert, war verspannt und wollte so bald wie möglich ins Bett. Aber ein Scotch war noch drin, war nötig. Und morgen würde er sich dann Gedanken über das Alex-Problem machen, ein paar Anrufe tätigen und versuchen etwas in Erfahrung zu bringen. Wenigsten schon mal, ob es nun tatsächlich ein Mord gewesen zu sein schien, oder nur der Versuch eines Junkies, sich in eine bessere Welt zu katapultieren, die es nicht gab, weil es nach dem Tod einfach überhaupt nichts gab. Nichts, als große, schwarze Leere. Auf einer Seite ein beruhigendes Gefühl, weil man keine Sorge haben musste, dass jede Tat im Leben hinterher abgerechnet wurde. Die Rechnungen für seine Taten bekam man, laut Raves Einstellung, bereits im Leben, und nicht erst danach. Auf der anderen Seite machte die Vorstellung von einem Nichts den Tod sicherlich nicht attraktiver. Gedankenverloren, mit unbewegtem Gesichtsausdruck starrte er auf seinen Scotch.

Ebenso schweigend wie Rave war sie ihm durch die Lobby des Hotels und zum Aufzug gefolgt. Als sie die Suite betraten, zog sie ihre Jacke aus und hängte diese, ebenfalls an der Garderobe auf. Dann folgte sie Rave zur Minibar, dies alles mit einer automatischen Normalität als wäre nichts geschehen. Sie wartete das Rave sich eine Scotch einschenkte, und hätte er für sie nicht auch einen eingeschenkt, hätte sie es selbst gemacht. Sie nickte nur als er sie fragte ob sie überhaupt noch einen wolle.

Doch anstatt sich ebenfalls auf das Sofa zu setzen, nahm sie das Glas, das er auf den Glastisch gestellt hatte und ging mit diesem zu der großen Fensterfront. Eine Weile sah sie nur schweigend hinaus in die dunkle Nacht, doch dann öffnete sie die Schiebetür die auf die Terrasse führte und ging hinaus. Der Wind schien hier oben noch stärker zu sein und sie fröstelte kurz etwas. Doch sie lies sich davon nicht wieder hineintreiben. Langsam ging sie auf die Brüstung zu, stützte einen Arm darauf ab und sah hinunter auf die Straße. Ihre Gedanken kreisten immer noch um Alex. Sie sah ihr Gesicht, ihre feuerroten Haare und die paar neckischen Sommersprossen auf ihrer Nase. Erinnerte sich an den Spaß den sie zusammen hatten als Aly nach New York gekommen war. Was wäre wohl gewesen, wenn Alex sie damals nicht mit in den Club genommen hätte? Wäre sie nun womöglich dort wo sie immer sein wollte? Auf einer Bühne? Spielte richtige Rollen und würde die Anerkennung bekommen die ihr zu stand? Ja, was wäre wenn?


Doch es war eben nicht. Und es hatte keinen Sinn sich etwas vor zumachen, sie war selbst verantwortlich für das was sie nun war, was sie gemacht hatte. Und diese Erkenntnis traf sie nun mit ganzer Härte. Um das einzusehen hatte erst ihre Freundin sterben müssen. Sie sah auf das Glas in ihrer Hand, sah auf den verlockenden Inhalt um es dann mit voller Wucht auf den Boden zu schmeißen. Das Glas zerbrach klirrend und der Inhalt breitete sich langsam über den sauberen Boden aus. Eine Weile sah sie nur stumm darauf, folgte dem Scotch der langsam eine Rinne entlang der Brüstung zog. Es war als würde er sie verspotten, sieh, ich fließe auch noch wenn du schon lange nicht mehr bist...

Dann, langsam hob sie ihren Blick wieder, das Haar wehte ihr ins Gesicht und verwischte die Tränen, die ihr unbewusst über die Wangen gelaufen waren. Sie lehnte sich wieder an die Brüstung an. Ihr Blick wanderte über die Häuser die gegenüber lagen, hoch zum sternenlosen Himmel. Und plötzlich wusste sie was sie machen musste. Langsam zog sie sich auf der Brüstung hoch und setzte sich dann auf diese, die Beine darüber schwingend so das diese nun nach außen hin runterbaumelten. Nein, sie hatte nicht vor runter zu springen, sie wollte nicht einmal nach unten sehen. Doch sie wollte sich selbst beweisen dass sie noch etwas schaffen konnte selbst wenn es sie große Überwindung und Mut kosten würde. Langsam löste sie ihre Hände von dem Geländer um sie beidseitig auszustrecken. Sie schwankte kurz, faste mit einer Hand wieder an das Geländer um dieses gleich wieder loszulassen. Aber schließlich fand sie das Gleichgewicht. Sie legte sie den Kopf leicht nach hinten in den Nacken und schloss die Augen. Für jeden Außenstehenden mochte es so aussehen als ob sie lebensmüde wäre, irre...vollkommen durchgedreht. Doch für sie war es einfach nur ein Test. Würde sie fallen, dann hätte sie es nicht anders verdient. Würde sie es aber schaffen, so ein paar Minuten ruhig dazusitzen, dann... ja dann wusste sie, sie konnte alles schaffen...

Aber im Scotch würden seine Gedanken sicherlich keine Auflösung finden, beziehungsweise war es nicht sein Wunsch. Er nahm einen kleinen Schluck, kaum genug um seine Lippen zu befeuchten, ehe er das Glas wieder abstellte. Aly, die zwar wohl ihren Scotch nahm, sich aber nicht zu ihm gesetzt hatte, trat auf den Balkon hinaus. Bei den Witterungsverhältnissen konnte Rave dem Balkon nichts Gutes abgewinnen, aber er stand ja auch nicht da draußen.
Eine Weile ruhte sein Blick durch die großen Glasscheiben an ihr, ehe er sich abwandte, und nach der Fernbedienung für die Musikanlage griff. Mit zwei Knopfdrücken ertönte das gewünschte Lied.

yeah I found god
and he was absolutely nothin' like me
he showed me up like some dime store hooker
who was plain to see
I couldn't take it anymore so I went back to the sea
cuz' that's where fishes go
when fishes get the sense to flee


Müde schloss er die Augen und legte seinen Kopf in den Nacken. Mit den Händen massierte er sich seine Schläfen. Es war wirklich Zeit ins Bett zu gehen. Im Schlaf fielen ihm oft Lösungen für irgendwelche Probleme ein, über die er vorher erfolglos nachgegrübelt hatte. Manche Menschen bekamen ihre besten Ideen in der U-Bahn oder auf dem Klo, er halt im Schlaf. Er stieß einen leisen Seufzer aus und öffnete die Augen wieder. Das was er sah, erschreckte ihn ziemlich; Aly saß auf der Brüstung, beide Arme von sich gestreckt. Er sprang vom Sofa auf, und wollte auf den Balkon stürzen. Das, was er im Moment am wenigstens brauchen konnte, war eine zu Brei zermatschte Aly vor dem Haupteingang des Hotels, die sich von seinem Balkon gestürzt hatte. An der Tür hielt er kurz inne, blieb stehen. Schließlich wollte er Aly nicht erschrecken, um damit vielleicht das zuprovozieren, was er eigentlich verhindern wollte.

where you goin' now?
what's your plan?


“Mach bloß keinen Scheiß.” sagte Rave mit leiser Stimme, aber auch deutlich gereiztem Unterton. Er wusste nicht genau woran es lag, aber Alys Leichtsinn machte ihn wütend. Beinahe so wütend, wie früher am Abend, als er sie mit Ezra gesehen hatte. Vielleicht sogar noch wütender, aber auf eine andere Art und Weise.
Er stand immer noch in der Tür, es machte ein bisschen den Eindruck, als wäre dort eine unsichtbare Grenze, die es ihm verbot auf den Balkon hinaus zu treten. Dabei gab es dafür keine rationalen Gründe, nicht einmal Höhenangst hatte er. Aber irgendwie machte ihm der Gedanke auf dem Balkon zustehen, während Aly sprang oder fiel, unglaubliche Angst. Seine Stirn war in Falten gelegt, die man als Zornesfalten, aber auch durchaus als Sorgenfalten sehen konnte. „Komm da weg. Das ist gefährlich!“ Als ob sie das nicht selber wissen würde. Aber vielleicht war das der Einfluss des Alkohols, der Drogen … der Trauer. Leise drang die Musik aus dem Wohnzimmer durch die Tür, hinaus in die dunkle Nacht.

whatcha doin' in this darkness baby?
when you know that love will set you free
will you stay in the sea forever?
drownin' there for all eternity


Mit einem Ruck trat er nun doch über die Türschwelle hinaus. Er musste sich unheimlich zusammen reißen, um nicht zu ihr zu treten, und sie mit einem Ruck von dem Geländer zu ziehen. Die Landung wäre für Aly wohl auch recht unangenehm gewesen, aber immer noch besser nach hinten gefallen werden, als sich auf dem Bürgersteig in rote Soße zu verwandeln. Langsam trat er neben sie an die Brüstung, den ganzen Körper angespannt, um sie im Notfall noch greifen zu können. „Jetzt mach schon, komm da runter.“ Du machst mir Angst. Er konnte ja nicht wissen, dass Aly grundsätzlich nicht vorhatte, sich umzubringen. Und selbst wenn, so wäre es trotzdem angsteinflößend gewesen, immerhin befanden sie sich hier auf der obersten Etage eines wirklich großen Hotels. „Bitte.“

whatcha doin' in this darkness baby?
come on out into the light of love
come on out into the light of love child
don't spend another day
livin' in the sea, livin' in the sea

So sass sie da, die Augen geschlossen und so ruhig wie sie wohl kaum einmal war in der letzten Zeit. Und sie fühlte sich frei, so frei wie sie sich noch nie gefühlt hatte.

Raves Stimme, wie auch die Musik drangen an ihr Ohr. Mach bloß keinen Scheiß. Komm da weg.... Das ist gefährlich... Doch sie ignorierte ihn. Gefährlich? Auch nicht gefährlicher als ihr Leben. Nein dies war, ganz bestimmt sogar, weniger gefährlich als manches was sie schon gemacht hatte. Und sie hatte nicht vor dieses Gefühl nun schon aufzugeben.... Es war beinahe besser als ein Drogentrip. Das Adrenalin schien förmlich durch ihren Körper zu rasen. Ja es war beinahe wie fliegen....

Like an eagle in the sky
Spread my wings and fly
And I'm sailin' on the wind
My eyes won't miss a thing
And life begins

Genauso fühlte sie sich... Langsam öffnete sie ihre Augen wieder und konnte den dunklen Himmel über sich sehen. Der Wind war stärker geworden und die Regentropfen fielen ihr ins Gesicht. Der Himmel weinte und sie lächelte...

Jetzt mach schon, komm da runter...Bitte... Irrte sie sich oder hatte sich der Klang von Raves Stimme verändert? War das Angst? Sorge? Sie senkte den Kopf langsam. Und weg war das Gefühl der Freiheit. Da war sie wieder die Realität. Der Wind blies ihr das Haar ins Gesicht und der leichte Nieselregen hatte sich in einen richtigen Herbstregen verwandelt. Und dann sah sie hinunter auf die Straße und in dem Moment wurde ihr klar das sie kurz davor gewesen war, ihr Leben zu riskieren. Zu riskieren für einen sinnlosen Test. Na gut immerhin hatte sie ihn bestanden. Sie war nicht gefallen. Und das Gefühl, für einen Moment allem zu Trotzen, hatte sie mehr als genug entschädigt.

Langsam lies sie ihre Arme sinken und hielt sich nun wieder am Geländer fest. Sie zitterte leicht, ob es von dem Adrenalinschub oder von der Kälte war wusste sie nicht so genau. Den Blick immer noch nach unten, drehte sie sich langsam um, um zurück auf den Balkon zu klettern. Doch als sie schon ein Bein über die Brüstung schwingen wollte, rutschte sie mit der Hand auf dem nassen Geländer aus.... Im letzten Moment konnte sie sich noch mit der anderen Hand an der Brüstung festhalten, doch lange würde sie sich so nicht halten können. Die andere Hand versuchte nun wieder Halt zu finden auf der nassen Oberfläche, doch sie rutschte, bei dem Versuch sich hochzuziehen gleich wieder ab. Hatte sie den Test doch nicht bestanden? War es das gewesen? Würde sie nun einfach fallen? Ihre Finger rutschten immer mehr ab...

Aly!“ Ja, sein Schrei klang eindeutig besorgt, ängstlich, beinahe panisch. Ein Schmerz durchzuckte seine angespannten Muskeln, als er so plötzlich einen Satz nach vorne machte, um nach Aly zu greifen. Vor seinem inneren Auge sah er sie schon vor seinen Augen fallen. seine Gedanken rasten in neuer Rekordgeschwindigkeit. Aber noch schneller regierte sein Körper. Er griff über das Geländer und umfasste ihre Handgelenke. Oh nein, vergiss es, du wirst jetzt nicht fallen! Die eine Hand rutschte ihm zwischen den Fingern hindurch, aber das andere Handgelenk hielt er fest umfasst. Mit angespanntem Gesichtsausdruck zog er sie über die Brüstung.

Als er sich überzeugt hatte, dass sie wieder sicher stand, verschwand die unglaubliche Erleichterung, die in seinem Blick zu sehen gewesen war. Sie verschwand, und machte Platz für nicht weniger unglaubliche Wut. Mit verzerrtem Gesichtsausdruck sah er sie einen Augenblick an, ehe er sich ruckartig umdrehte, und ohne ein Wort zu sagen wieder im Haus verschwand.

Auf dem Weg zur Bar griff er mit zittriger Hand nach dem Scotchglas von dem kleinen Wohnzimmertischchen. In einem Zug hatte er es geleert. Als er das Glas erneut füllte, verschüttete er einen Teil des guten Scotchs. Er schnaufte, nahm sich die ganze Flasche, und verschwand mit eckigen Bewegungen in sein Schlafzimmer.

Bevor ihre Finger ganz abrutschten ergriff Rave ihr Handgelenk. Hätte er nur eine Sekunde gezögert, wäre sie nun, sie sah nach unten... ein Schaudern erfasste, sie wäre drauf gegangen wenn er sie nicht festgehalten hätte.
Mit der anderen Hand klammerte sie sich an ihn als er sie über die Brüstung zog. Ihr Herz klopfte wie wild als sie auf der anderen Seite wieder Boden unter den Füßen spürte.

Was für ein Teufel hatte sie nur geritten? Sie sah Rave an und der Schock stand ihr noch in den Augen. Sie realisierte nicht einmal sein erleichtertes Gesicht, dem nun aber ein wütender Ausdruck Platz machte. Und noch bevor sie etwas sagen konnte drehte sich Rave ab, ging wieder rein, schnappte sich die Flasche mit dem Scotch und verschwand damit in seinem Schlafzimmer. Ihre Augen folgten ihm, nahmen alles wahr, doch ihre Gedanken waren zu wirr um zu kapieren was gerade eben abgegangen war. Er hatte sie gerettet, zum zweiten Mal. Ihr Blick wanderte wieder zurück auf die Straße unter ihr. Alles nahm seinen gewohnten Gang da unten. Die Autos fuhren, oder besser stauten sich auf der 5th Ave. Irgendwo konnte man die Sirene eines Polizeiautos hören und das Gehupe eines genervten Taxifahrers. Keiner da unten konnte ahnen was gerade hier oben passiert war. Wie hätte wohl die Schlagzeile gelautet, wenn sie gefallen wäre?

Tragischer Unfall im Hotel... oder War es Selbstmord...?

Verdammt, konnte sie den nie etwas richtig machen? Langsam lies sie sich an der Brüstung hinunter sinken, schlug die Arme um die Beine und kauerte einfach nur da. Durchnässt bis auf die Unterwäsche. Sass einfach nur da, zitternd und starr auf die Balkontür starrend. Unmöglich einen klaren Gedanken zu fassen.

Sie wusste nicht wie lange sie so da gesessen hatte, doch irgendwann, als alle ihre Tränen versiegt zu sein schienen, löste sich ihr starrer Blick von der Tür. Langsam regte sie sich und stand dann auf um ins Bad zu gehen.

Mit Schwung warf er die Tür hinter sich zu, so dass sie mit einem lauten Knallen ins Schloss fiel. Den Scotch stellte er auf dem Nachttisch ab, zog sich dann Schuhe, Jacket und Krawatte aus, und warf sich dann auf sein Bett. Natürlich hatte Rave auch in seinem Schlafzimmer eine beeindruckende Musikanlage, die er jetzt auch erstmal anwarf. Er wollte nichts hören, gar nichts. Er setzte die Flasche an seine Lippen, und nahm einen großen Schluck. Eigentlich eine Verschwendung. Es war wirklich guter Scotch, den er da wie einen billigen Fusel in sich hinein schüttete. Aber irgendwie musste er das unkontrollierbare Zittern, welches von seinen Händen Besitz ergriffen hatte, unterdrücken, oder noch besser, beseitigen.

Fahrig fuhr er sich mit der Hand durch die Haare, welche durch den kurzen Aufenthalt auf dem Balkon von kleinen Nieselregentröpfchen feucht geworden war. Da draußen hatte er eben seine Selbstbeherrschung verloren. Erst die Angst, dann die Erleichterung und schlussendlich noch die Wut. All diese Gefühlsregungen waren allzu deutlich in sein Gesicht geschrieben gewesen. Er hasste es die Kontrolle über sich zu verlieren! Aly… Sie war schuld daran. Wieder setzte er die Flasche an, ganz gegen seine Art. Rave soff keinen Alkohol, er genoss. Aber Rave verlor auch nicht die Kontrolle, ließ sich nicht von einem Mädchen so aus der Fassung bringen. Nein, Rave wäre auch nicht auf sein Zimmer geflüchtet, hätte nicht die Tür hinter sich zugeschlagen, wie ein wütendes Kind. Rave nicht.

Rave- nein, im Moment wohl mehr Rafael-, presste die Lippen aufeinander, während er die Musik noch lauter machte. Er schloss die Augen als der Alkohol seine Kehle hinunterlief und sich seine Gedanken nur um eins drehten. Aly. Pah! Sie hatte es überhaupt nicht verdient, dass er auch nur einen Gedanken an sie verschwendete. Wer war sie denn schon? Ein erbärmlicher Junkie, den er von der Straße aufgelesen hatte. Ein Mädchen, welches mit seinem Feind rumgehurt hatte, welches sich gerade fast von seinem Balkon gestürzt hatte … und welches ihm gesagt hatte, dass sie ihn liebte.

Als er die Augen wieder öffnete, sah er sich selbst in dem großen Spiegel, der in seinem Schlafzimmer angebracht war. Immer, immer wieder, sitz ich vor dem Spiegel. Ich dreh mich hin und her. Ich schau mich selber an. Versuch zu sehen was ich bin. Versuch zu sehen was mich treibt. Versuch zu sehen ob etwas von mir bleibt. Ein jedes Ding hat seinen Preis. Wer kann mir meinen sagen? Er verzog die Lippen zu einem verächtlichen Lächeln und befahl der Musikanlage mit einem Knopfdruck, ein Lied weiter zu gehen. Oder noch besser, die CD zu wechseln, weniger tiefgründig, mehr Kopf leerend. Ein ziemlich krasser Wechsel, von ruhiger Gitarrenmusik zu harten, dröhnenden Bässen. Aber er fühlte sich damit auch nicht besser.

everytime we lie awake
after every hit we take
every feeling that i get
but i haven't missed you yet
every room-mate kept awake
by every sigh and scream we make
all the feelings that i get
but i still don't miss you yet

only when i stop to think about it

i hate everything about you
why do i love you
i hate everything about you
why do i love you

Es war erstaunlich, vielleicht auch erschreckend, wie schnell sich so eine Flasche leeren konnte. Er konnte den Alkohol deutlich in seinem Blut spüren, jeden einzelnen Tropfen, der durch seine Adern floss und eine unangenehme Hitze in seinem Körper freisetzte. Wie lange war es her, dass er soviel getrunken hatte? Er konnte sich nicht erinnern …
„Aly …“ stieß er wütend aus, aber in seiner Stimme schwang noch etwas mit, was er selbst nicht zu deuten vermochte. Er kam sich in seinem eigenen Körper so fremd, so verloren vor. Und alles nur wegen ihr. Wie war es nur passiert, dass sie in seinem Leben so eine große Bedeutung zu haben schien? Er hatte das nicht bedacht, nicht beabsichtigt …er wollte sie dafür hassen.

Aber selbst das wollte ihm nicht gelingen. Er dachte an das schmerzhafte Gefühl der Eifersucht, die er im Bloody Tear gespürt hatte, die Angst, als sie da am Geländer hing … Das war nicht richtig, in seinem Leben gab es so etwas nicht, es war ein Fehler gewesen, Aly damals mit zu sich zu nehmen, ein Fehler sie nicht längst zum Teufel gejagt zu haben. Dass er so fühlte, etwas für sie fühlte, stellte plötzlich jede seiner Entscheidungen in Frage. Jedenfalls kam ihm dass nun so vor, was mit ziemlicher Sicherheit auch an der ungewöhnlich hohen Alkoholkonzentration in seinem Blut lag. Doch die Frage, die sich im aufdrängte, ließ sich nicht mehr vertreiben.
Er hatte sich vor vielen Jahren von seinem früheren Leben verabschiedet. Mit allem, was dazu gehörte. Seit 6 Jahren hatte er kein Wort mehr mit einem Familienangehörigen, oder einem Freund von früher gesprochen, seit 6 Jahren wusste niemand, ob es ihm gut ging, oder ob er überhaupt noch lebte. Und bisher war es gut so gewesen. Er war mit seinem Leben zufrieden gewesen, zufrieden ohne Menschen, um die er sich Sorgen machen musste, deren Wohlergehen ihm am Herzen lag. Und nun war das alles hinfällig. War es die richtige Entscheidung gewesen?

Es war müßig darüber nachzudenken, aber es ärgerte ihn, dass Aly es an einem Abend geschafft hatte, ihn überhaupt dazu zu bringen. Ja, was ein Abend alles ändern konnte … Er schnaufte unwillig.
Er nahm die Scotchflasche, und fegte sie mit einer Handbewegung vom Bett. Mit einem dumpfen Klirren rollte sie über den Boden, bis an die gegenüber liegend Wand stieß, allerdings ohne zu zerbrechen, was einerseits natürlich gut war, andererseits aber damit nicht tat, was Rave eigentlich vorgehabt hatte. Am liebsten hätte er jetzt noch etwas hinterher geworfen, aber außer der Nachttischlampe war nichts in Reichweite, und außerdem wäre das nun wirklich äußerst kindisch gewesen. nicht, dass das heute noch einen großen Unterschied machen würde.

Unzufrieden und frustriert, rollte er sich auf die Seite und schaltete das Licht aus. Die Musik machte er auch leiser, aber nicht ganz aus, er wollte jetzt keine Stille haben. Da er keine große Lust verspürte, sich noch großartig zu bewegen, blieb er einfach, angezogen wie er war, liegen und hoffte, dass der Schlaf bald kommen würde, um ihn all seiner Gedanken zu berauben.

Als Aly neben der Schlafzimmertür von Rave vorbeikam, blieb sie einen Moment davor stehen. Laute Musik dröhnte aus dem Zimmer. Kurz überlegte sie ob sie einfach in das Zimmer gehen sollte, entschloss sich aber dagegen. Die harten Klänge die sie hören konnte, liesen sie ahnen das er alles andere als sie sehen wollte.

Sie öffnete die Badezimmertür die gleich neben Raves Schlafzimmer lag und schloss sie dann hinter sich zu.
Dann öffnete sie den kleinen Medizinschrank über dem Lavabo und begann damit sich etwas zur Beruhigung zu suchen. Bis sie schließlich ein Valium in den Händen hielt. Nun das musste genügen. Sie lies den Wasserhahn laufen und schluckte die Tablette.. Dann sah sie sich im Spiegel an. Sie sah furchtbar aus. Die Wimperntusche war verschmiert und unter ihren Augen, die vom weinen geschwollen und gerötet waren, hatten sich dunkle Ringe gebildet. Ihre Haare fielen, nass auf ihre Schultern und klebten ihr im Gesicht. Sie hätte ohne Mühe die Hauptrolle in einem Horrorfilm übernehmen können mit ihrem Aussehen.

Seufzend wandte sie sich von dem Spiegel ab und begann sich die nassen Kleider auszuziehen, welche sie dann über die Heizung hängte. Dann ging sie zur Dusche und lies das Wasser laufen bis es angenehm warm war um sich dann darunter zu stellen. Minutenlang stand sie einfach nur unter dem warmen Wasser, lies es über ihren Körper laufen und schloss die Augen. Die Kälte wich langsam einer angenehmen Wärme und sie entspannte sich etwas. Doch ihre Gedanken konnte sie nicht einfach so wegspülen. Die Verwirrung, die Angst, die Hoffnung die immer wieder von Hoffnungslosigkeit verdrängt wurde, die Sehnsucht nach Liebe, nach Geborgenheit.... alle diese Gefühle blieben.

Auch als ihre Haut schon beinahe Schwimmhäute bekam. Sie stellte den Wasserhahn ab und nahm sich dann ein großes Frotiertuch um sich darin einzuwickeln. Dann ging sie wieder zum Lavabo und sah erneut in den Spiegel.
Die Augen waren immer noch gerötet, doch der Rest schien nun doch wieder etwas frischer auszusehen. Sie kämmte sich kurz die Haare, lies diese aber dann feucht über ihre Schultern fallen. Sie hatte keine Lust sich diese nun zu föhnen, sie würden auch so trocknen.

Eine Weile blieb sie noch so vor dem Spiegel stehen, bis sich die Wirkung des Valiums langsam abzeichnete und sie die Müdigkeit fühlen konnte. Sie wusste nicht was der morgige Tag oder die Tage darauf bringen würden, doch für heute hatte sie genug. Sie wollte nur noch schlafen.

Zurück zu ihrem Schlafzimmer kam sie erneut neben Raves Tür vorbei. Ob sie doch schnell...? Nein, besser nicht. Sie öffnete die Tür ihres Schlafzimmers, welches gegenüber von Raves war und lies das Frotiertuch einfach achtlos auf den Boden fallen. Dann legte sie sich auf ihr Bett. Aus Raves Zimmer drang immer noch Musik bis zu ihr, nun allerdings etwas leiser. Sie nahm die Fernbedienung des Fernsehers und begann durch die Programme zu zappen. Etwas Schlaues kam allerdings um diese Zeit nicht mehr. Talkshow-Wiederholungen, waren noch das Beste, neben den Erotikmagazinen. Einzig auf HBO lief noch ein Film. Ein schnulziger Liebesfilm. Nein, auf so etwas hatte sie nun bestimmt keine Lust. Wenn schon ein Film dann hätte schon ein Horrorfilm laufen müssen, der hätte eher zu ihrer Stimmung gepasst.

Seufzend schaltete sie den Fernseher wieder aus und legte sich hin. Sie zog die Decke bis zum Kinn und schloss die Augen, doch trotz des Valliums und der Müdigkeit, die Dieses bewirkte, konnte sie nicht schlafen. Was war nur schief gelaufen heute? Dabei hatte der Tag doch nicht anders begonnen als jeder der letzten Tage. Außer mit dem Unterschied das sie sich auf das Treffen mit Alex gefreut hatte. Alex...sie würde raus finden müssen was...wer dafür verantwortlich war. Und Rave? Wie würde es weitergehen? Er hatte sie noch nicht auf die Strasse gesetzt, aber würde das noch folgen? Sie hatte, seit sie hier war, noch nie solchen Mist gemacht wie heute. Was wenn er sie morgen wirklich rauswerfen würde? Was würde sie dann machen? Zu Ezra? Nein wohl kaum. Wieder überschlugen sich die Gedanken in ihrem Kopf, bis das Vallium schließlich doch siegte und sie in einen unruhigen Schlaf fiel...

Nur ein paar Stunden später, ihrem Gefühl nach zu urteilen konnten es kaum mehr sein als 3 oder 4, wurde Aly durch das Rauschen der Dusche geweckt. Ein Blick auf die Uhr verriet ihr das sie mit ihrer Vermutung richtig lag. Es war knapp vor sechs Uhr. Eigentlich viel zu früh um aufzustehen, wären da nicht die langsam kommenden Entzugserscheinungen gewesen, welche die Ereignisse des Vortags für einen Moment verdrängten und nur einem Gedanken Platz machten, dem nächsten Schuss.

Gerädert und verspannt von dem unruhigen Schlaf, schlug sie die Decke zurück und stand auf. Ihre Hände zitterten als sie sich ein langes T-Shirt schnappte und lediglich mit dem bekleidet zur Tür tapste. Irgendwo im Wohnzimmer musste noch Stoff sein. Danach würde es ihr wieder besser gehen und sie könnte vielleicht auch noch ein paar Stunden Schlafen.

Der Schlaf hatte ihn tatsächlich vor weiteren Denkschüben bewahrt. Nur leider war er viel zu schnell vorüber.
Als Rave die Augen aufschlug, und einen Blick auf den Wecker warf, stellte er fest, dass er kaum drei Stunden geschlafen hatte. Am liebsten hätte er sich also noch mal umgedreht, um noch ein paar Stunden in den süßen Schlaf zu entfliehen. Aber er fühlte sich einfach nur furchtbar, so furchtbar, dass an Schlaf wohl kaum zu denken war. Er war verspannt, sein Rücken schmerzte und sein Kopf dröhnte. Ganz offensichtlich hatte er einen Kater, wofür auch der pelzige Belag auf seiner Zunge und der widerliche Geschmack in seinem Mund sprechen würden.

Stöhnend richtete er sich auf schob die Beine aus dem Bett. Er gähnte und streckte sich, was sich aber als keine so gute Idee herausstellte, da wie schon gesagt sein Rücken schmerzte. Was für ein beschissener Morgen. kam es ihm in den Sinn, noch bevor die Gedankenflut wieder über ihn herein brach. Er stand auf und pellte sich aus deiner Kleidung. Was er jetzt brauchte, war ein langes Date mit dem Badezimmer. Er schlang sich ein Handtuch um die Hüften und ging dann aus seinem Zimmer, direkt ins Bad.

Bestimmt eine halbe Stunde ließ er das Wasser auf sich herab laufen. Was für eine Verschwendung, aber Rave scherte sich nicht besonders darum. Er stellte seine Bedürfnis über die irgendwelcher umweltfreundlichen Miesmacher, die einem einreden wollten, dass man in fünf Minuten fertig geduscht sein konnte. Denn Rave konnte das definitiv nicht. Nach dem Duschen fühlte er sich um einiges besser und konnte damit anfangen, sich der weiteren allmorgendlichen Pflege zu widmen. Zähneputzen, rasieren, Haare kämmen und so weiter …

Anschließend tappste er wieder in sein Zimmer, wo er sich anzog. Sein Terminkalender sagte ihm, dass er den Vormittag frei hatte, also wählte er bequeme, aber nicht weniger gute Kleidung, der man ihre Qualität durchaus ansah. Dann rief er den Zimmerservice an, er bestellte ein Katerfrühstück, sowie einen großen Pott Kaffee. Mit der Aussicht, diesen wenigstens genießen zu können, verließ er dann sein Zimmer, und begab sich in den Wohnraum.

Er saß mit einer ausgedrückten Zigarette und einem leeren Wasserglas an der Küchentheke, als der Zimmerservice das gewünschte brachte. Die Zigarette hatte er nur kurz angesteckt, einen Zug genommen und wieder ausgemacht, so schlecht war ihm geworden. Mit dem Wasser hatte er seine Kopfschmerztablette herunter gespült. Und als das Frühstück nun vor ihm stand, war er sich auch ziemlich sicher, dass er davon, wenn überhaupt, nicht viel zu sich nehmen würde. Aber der Kaffee schien ihm wie ein guter Freund. Er schenkte sich eine Tasse ein, und genoss einen Augenblick den aromatischen Duft, der ihm in die Nase stieg.
Bedächtig nahm er einen Schluck, vorsichtig, um sich nicht die Lippen an dem heißen Getränk zu verbrennen.

Das Frühstück links liegen lassend, ging er mit dem Kaffee zur Couch, auf die er sich fallen ließ. Er nahm noch einen kleinen Schluck, ehe er den Becher auf dem Tisch abstellte. Dann zog er die Beine hoch auf die Couch und machte sich auf dem Rücken lang. Beinahe automatisch wanderte seine Hand zu der Fernbedienung, und er machte den Fernseher an. Nicht, dass um diese Uhrzeit auf irgendeinem Sender etwas laufen würde, was ihn auch nur ansatzweise interessieren würde. Aber wozu gab es denn das Pay-TV?
Allerdings wollte Rave im Moment weniger Fernseh gucken, als einfach nur auf dem Sofa zu liegen, von daher achtete er nicht darauf, welchen Sender er ausgewählt hatte. Zudem hatte er den Ton ausgestellt. Und so bekam er auch nicht wirklich mit, wie der Held aus dem Actionstreifen in einem Affenzahn über die Autobahn sauste, um sein Mädchen vor den bösen Drogenbossen zu retten. Vor so Leuten wie Rave. Mit dem kleinen Unterschied, dass Rave bisher noch keine Frau entführt hatte. Abgesehen von Aly, aber das war keine richtige Entführung gewesen. Zudem war da auch niemand gewesen, der sie hatte wieder haben wollen.

Bevor sie ins Wohnzimmer tappte, hatte sie, nachdem sie gesehen, oder besser gehört hatte das Rave dieses nicht mehr in Beschlag nahm, einen Abstecher ins Bad gemacht um sich eine saubere Spritze und ein Gummiband zum abbinden zu holen. Danach war sie direkt und ohne auf Rave zu achten zu der Küche weiter getapst um sich einen Löffel zu nehmen. Nun hatte sie eigentlich alles bis auf den Stoff. Und bei dem Gedanken daran fiel ihr Blick unweigerlich auf Rave der auf dem Sofa lag und mit der Fernbedienung durch die Sender zappte. Und bei seinem Anblick kamen auch die Ereignisse vom Vorabend zurück. Verdammt, ob er ihr überhaupt etwas geben würde, nach gestern? Fieberhaft überlegte sie ob sie nicht doch vielleicht irgendwo noch etwas hatte, damit sie ihn nicht darum bitten musste. Doch da war nichts mehr. Sie hatte alles gebraucht was er ihr gestern gegeben hatte.

Mit einem leisen Seufzen ging sie zur Couch auf der Rave lag, setzte sich ihm gegenüber in einen Sessel und bereitete das Besteck vor ihm auf dem Tisch aus. Dann zündete sie sich eine Zigarette an und sah ihn mit einem bittenden Blick an, "Ich brauche was..."

Nach einer Weile hörte Aly kommen und herumrödeln. Er drehte sich aber nicht zu ihr, oder sprach sie gar an. Ihm wäre es lieber gewesen, wenn sie noch nicht aufgetaucht wäre. Denn erstens war er immer noch wütend auf sie, und zweitens dachte er auch noch immer an die Blöße, die er sich gestern gegeben hatte, und drittens hatte er schlicht und einfach keinen Bock auf Gesellschaft. Aber meistens kam es eben nicht so, wie man es gerne gehabt hätte.
Als sich ihre Schritte seiner Position näherten, hatte er die Augen geschlossen. Vielleicht hegte er die kindische Hoffnung, dass sie denken würde, dass er schliefe, und ihn dann nicht ansprechen würde. Dann stieg ihm die Zigarettengeruch in die Nase und er verzog reflexartig das Gesicht, weil ihm wieder flau im Magen wurde. Ihre Stimme riss ihn dann völlig aus seinem vorgetäuschten Schlaf.

“Ich brauche was …“ Ja natürlich, was auch sonst? Hatte er wirklich nur eine Sekunde geglaubt, dass sie sich erklären oder entschuldigen wollte? Nein, eigentlich nicht. Da er keine Lust auf Konversation, oder auch Konfrontation hatte, wollte er aufstehen, und ihr etwas aus dem Safe holen, wo er die Drogen und das Geld, welche sich in der Suite befanden, aufbewahrte. Er schlug seufzend die Augen auf, und setzte sich hin. Missbilligend runzelte er die Stirn. „Mach das scheiß Ding aus.“ brummelte er übellaunig und deutete mit dem Finger auf die Zigarette. Am frühen Morgen, und speziell an diesem frühen Morgen, war ihm dieser Geruch einfach total zuwider.

Langsam stand er auf, und ging zu dem Schränkchen, in dem der Safe aufbewahrt war. Er hatte nie besonders viel Bargeld, oder besonders viele Drogen da, aus Sicherheitsgründen. Meistens nur so viel, dass ihn sein Anwalt im Notfall gegen Kaution rausholen konnte. Allerdings hatte er bisher immer Glück gehabt, und es war offiziell noch nie zu irgendwelchen Anschuldigungen gekommen, auch wenn er natürlich wusste, dass er bei der Polizei kein unbekannter war. Auch die meisten wichtigen Dokumente bewahrte er nicht im Hotel auf.

Schnell hatte er den komplizierten Zahlencode eingetippt, die Tür öffnete sich, und ohne hinzusehen griff er kleines Päckchen heraus. „Bitte sehr.“ sagte er, was allerdings mehr wie ein Verreck doch dran. klang, und warf es Aly zu. Er war, wie er fand, äußerst großzügig, nachdem was sie sich gestern alles geleistet hatte. Da er nicht so große Lust verspürte, ihr beim Spritzen zuzusehen, ging er in die kleine Küchenzeile, wo er anfing, sich intensiv mit seinem Organizer zu beschäftigen.

Rave war sauer, sehr sauer. Das konnte sie an seiner Stimme erkennen und auch an der Art wie er ihr das Päckchen mit dem Stoff hinschmiss. Es war, in anbetracht der Tatsachen, eine großzügige Ration die er ihr da gab. Und doch fühlte sie sich nicht besser als sie das Heroin nun auspackte und zusammen mit etwas Zitronensaft erhitzte. Im Gegenteil, ihre Hände zitterten so stark das ihr der Löffel beinahe aus den Fingern gefallen wäre. Sobald sie es sich gespritzt hatte würde es ihr besser gehen und dann wusste sie, sie würde mit ihm reden müssen.

Sie zog den Ärmel ihres T-Shirts etwas nach oben um sich den Arm abzubinden und setzte sich die Spritze dann an. Dann spritzte sie sich das Gift in ihre Venen. Sofort spürte sie wie sich das Heroin in ihrem Körper auszubreiten schien. Das Zittern ihrer Hände nahm ab und wich der Ruhe und der Gleichgültigkeit. Die Vorkommnisse des Vorabends rückten erneut in den Hintergrund, dieses mal aber einfach weil sie sie verdrängte, weil sie keine Lust hatte daran zu denken. Der Stoff war gut und sie hatte sich eine volle Dröhnung gespritzt. Die Augen fielen ihr unweigerlich zu als sie sich in dem Sessel nach hinten lehnte um das Gefühl welches der Flash auslöste zu genießen. Die Spritze war ihr dabei aus den Händen geglitten und fand ihren Weg auf den Boden. Doch sie kümmerte sich nicht weiter darum. Das Einzige was in diesem Augenblick zählte war das Gefühl, der absoluten Zufriedenheit.

Doch wie üblich hielt dieses Gefühl nicht lange an. So schnell wie das Flash gekommen war, so schnell verschwand es auch wieder. Und die Realität kehrte zurück. Langsam öffnete sie ihre Augen wieder und blickte in die Richtung von Rave, der in der Küche saß. Ob es gut war nun mit ihm zu sprechen? Er sah nicht so aus als ob er sich überhaupt noch groß um sie kümmern würde. Sie schien ihm vollkommen egal zu sein. Noch egaler als sie es vorher schon war. Vielleicht sollte sie wirklich einfach verschwinden. Was dies heißen würde war klar. Sie hatte niemand mehr außer Rave. Alex...sie war tot. Und zu ihren Eltern konnte sie nie mehr zurück. Viele Alternativen gab es demnach nicht für sie. Doch hier bleiben konnte sie so auch nicht. Sie hielt das nicht aus. Immer wenn sie Rave ansehen würde, wenn sie in seiner Nähe war, das Gefühl das er sie hasste, während sie ihn liebte. Nein, wenn sie schon draufgehen sollte, dann dort wo sie hergekommen war.

Sie stand auf und machte einen Schritt auf Rave zu, blieb dann aber stehen. Nein reden brachte auch nichts mehr.
Sie nahm den restlichen Stoff, drehte sich um und ging in ihr Zimmer zurück.

Kaum war Aly zurück in ihrem Zimmer, kramte sie ihre Reisetasche raus und packte schnell das Wichtigste ein.
Ein paar ihrer Kleider, eine Kette die sie von Rave geschenkt bekommen hatte, ihren Mp3-Player - der lies sich sicher zu Geld machen - und ihre Lederjacke. Dann zog sie sich eine Jeans an und steckte das bisschen Geld das sie noch hatte in die Tasche. Kurz überlegte sie ob sie Rave ein paar Zeilen schreiben sollte, doch was sollte das für ein Sinn habe?

Sie nahm ihre Jeansjacke und zog sich diese an, während sie ihren Blick nochmals durch das Zimmer schweifen lies. Vermutlich würde es für eine lange Zeit das letzte Mal gewesen sein das sie ein warmes gemütliches Zimmer gesehen hatte. Dann wandte sie sich um öffnete die Tür wieder und ging so unauffällig wie möglich zu der Tür die sie nach draußen auf den Hotelgang führte. Als sie diese hinter sich zuschloss, sah sie kurz darauf zurück und schickte Rave im Stillen einen Abschiedsgruss. Sie war sich nicht einmal sicher ob er überhaupt mitbekommen hatte das sie gegangen war. Und wenn, dann schien es ihn nicht weiter zu interessieren
.
Sie ging zu dem Aufzug der sie schließlich nach unten in die Lobby führte, an der Empfangsdame vorbei ohne sie weiters zu beachten und trat dann nach draußen auf die nasse Strasse. Es regnete, genau wie damals als Rave sie gefunden hatte...

Rave stand mit dem Rücken zu Aly, mit Absicht. Auch wenn er sich mit dem kleinen PDA vor ihm befasste, hörte er jedes Geräusch, so dass ihm nicht verborgen blieb, wie Aly sich in seinem Wohnzimmer ihren nächsten Schuss setzte. Und auch, wenn es ihm sonst egal war, heute hasste er sie dafür. Am Nachmittag hatte er einen Termin mit einem seiner Kunden, einem der Dealer, die er mit Drogen belieferte. Dieser war ein Wichser, ein Arschloch wie es im Buche stand, einer von denen, die allen Alys dieser Welt den Tod auf Raten verkauften, aber Rave kam mit ihm gut aus, bisher. Doch heute wollte er ihn, stellvertretend für alle Dealer, mit seinen eigenen Händen erwürgen.

Irgendwann hörte er, wie Aly den Raum verließ. Seufzend ging er zurück zum Sofa. Als ihr benutztes Besteck sah wurde er wütend. „Kannst du deine Scheiße nicht wenigstens selber wegräumen?“ schrie er durch die Suite, ohne zu wissen, ob sie ihn überhaupt hörte. Das Personal hier war ja einiges von ihm gewohnt, aber es Drogenbesteck wegräumen zu lassen, wäre nicht besonders klug gewesen. Da Aly nicht reagierte, nahm er leise vor sich hin fluchend eine Plastiktüte und war es selbst weg. Dann legte er sie wieder auf das Sofa, machte den Ton vom Fernseher an und schloss die Augen.

Später glaubte er zuhören, wie sich eine Tür öffnete und schloss, aber er dachte nicht im Traum daran, dass es Aly sein könnte, die mit gepackter Tasche ohne ein Wort verschwand. Und selbst wenn er es realisiert hätte, im Moment hätte er ihr wohl sogar ein Taxi bestellt und ihr freundlich hinterher gewinkt. Und natürlich hätte er geglaubt, dass sie schon nach kürzester Zeit wieder reumütig zu ihm zurück gekrochen käme. Doch so ging das an ihm vorüber, und ohne dass er es richtig merkte, schlief er auf dem Sofa nun doch noch einmal ein.

Als er wieder aufwachte, war es bereits kurz vor Mittag. Aber im Gegensatz zu seinem ersten Aufwachen an diesem Tag, war es dieses mal weitaus weniger schmerzvoll. Das Dröhnen in seinem Kopf war komplett verschwunden und auch seine Schultern taten kaum noch weh. Er gähnte herzhaft und liebäugelte bereits mit dem Frühstück, welches noch unberührt auf der Theke stand. Er richtete sich auf, ging rüber und ließ sich vor dem Tablett wieder nieder. Mit Appetit begann er zu essen, und er hörte nicht auf, ehe alles vernichtet war.

Dann schellte sein Handy. Es war Gordie, einer von den Männern, mit denen Rave seine Geschäfte bezüglich der illegalen Personenbeförderung absprach und durchführen ließ. Gordie war ein Geizhals, dem Rave nicht über den Weg traute, aber er war gut in seinem Gebiet, sogar sehr gut. Was er in die Hand nahm, war gut geplant und mit möglichst geringem Risiko. Nicht umsonst war Gordie in der Szene äußerst begehrt. Nur seine Preise waren auch nicht ohne. Jedenfalls vereinbarte Rave ein Treffen mit ihm zum Mittagessen, zur Unterredung wegen der neuen Lieferungen, Rave hatte einige neue Interessenten, die in eine Zusammenarbeit investieren wollten. Einen Teil hatte er bereits überprüft, jeder neue Kunde wurde einer gründlichen Prüfung unterzogen, schließlich konnte man nie vorsichtig genug sein.

„Aly.“ rief er, während er zu seinem Schlafzimmer ging, um sich für das Treffen umzuziehen. „Aly!!!“ Langsam wurde er ungeduldig. Er ging zu ihrem Zimmer und machte die Tür auf. „Aly?“ Aber da war sie nicht. Also war es vielleicht doch sie gewesen, die durch die Tür gegangen war. Ärgerlich runzelte er die Stirn. Sie hätte ja ruhig mal einen Ton sagen können. Vor allem nachdem er so freigiebig gewesen war. „Blödes Weib!“ murmelte er verschwand kopfschüttelnd in seinem Zimmer.

Umgezogen und fertig gemacht, machte er sich schließlich auf den Weg, zu dem vereinbarten Treffpunkt, einem kleinen Bistro in der Stadtmitte. Er konnte sich Zeit lassen, Gordie kam grundsätzlich nicht pünktlich. Rave ließ sich seinen Wagen, ein HYPERLINK "http://www.wallpaper.net.au/wallpaper/automotive/Porsche%20911%20Carrera%204s%20-%20800x600.jpg" \t "_blank" schwarzer Porsche Carrera vor die Hoteltüre fahren, stieg dann ein und fuhr los. Im Allgemeinen war Rave ein guter Autofahrer, der sich im Großen und Ganzen an die Verkehrsregeln hielt. Schon oft genug war es vorgekommen, dass einem von den großen wegen einem popeligen Verkehrsdelikt das Handwerk gelegt worden war, und diesem Schicksal gedachte Rave zu entgehen.

Schließlich parkte er auf dem Parkplatz und ging die paar Schritte bis zum Bistro zu Fuß. Durch die Fensterscheiben konnte er schon sehen, dass Gordie, wie nicht anders erwartet, noch nicht da war.

Der Regen peitschte ihr unbarmherzig ins Gesicht während sie durch die Strassen lief. Sie hatte kein bestimmtes Ziel. Die Wohnung die sie einst mit Alex hatte war bestimmt längst weitervermietet worden und ob sie noch jemanden von ihren früheren Kontakten finden würde war fraglich. Kurz hatte sie sich überlegt in den Club zu gehen... zu Ezra... doch Diesen Gedanken hatte sie verworfen, bevor er richtig aufgekommen war. Sie wusste wie Ezra war. Nein sie musste zusehen, dass sie hier irgendwo jemanden finden würde, jemand bei dem sie unterkriechen konnte, auch auf die Gefahr hin, dass die Polizei sie aufgreifen würde. Immerhin suchten sie ja nach ihr.

Als sie so in Gedanken versunken in eine kleine Seitengasse abbog, fand sie sich plötzlich vor zwei Jung s wieder, die ihr den Weg versperrten. Sie wollte schon umdrehen als einer sie hart am Handgelenk packte.
"Na Süße, du willst doch nicht gleich wieder gehen?" grinste dieser sie hämisch an und zog sie zu sich. "Lass mich los," schrie sie ihn an und versuchte sich aus seinem Griff zu befreien. Doch da hatte sie bereits der Andere von hinten gepackt und schubste sie unsanft auf den Boden. "Na, na, eine kleine Wildkatze," das Grinsen in seinem Gesicht wurde breiter als er ihre Tasche griff die ihr aus der Hand gefallen war und begann diese zu durchsuchen. "Was haben wir den da?" er hielt ihren Mp3-Player kurz in der Hand bevor dieser in seiner Hosentasche verschwand. Und nachdem er den ganzen Inhalt der Tasche auf der Strasse ausgebreitet hatte und nichts mehr zu finden schien das ihn interessierte packte er sie wieder und zog sie unsanft hoch. "Ok, Schlampe, das ist doch sicher nicht alles was du hast, rück schon mit der Knete raus."

Er hatte sie gegen die Wand gedrückt und zückte nun ein Messer während sein Kumpel, begann sie zu durchsuchen. Als er fündig wurde hielt er das Geld und den restlichen Stoff triumphierend in die Höhe, "Na bitte," er steckte sich beides ein und schubste dann den Kerl an der Aly immer noch an die Wand gedrückt hielt, "komm las uns von hier abhauen..." Doch dieser machte erst einmal keinerlei Anstalten der Aufforderung seines Kumpels zu folgen. Im Gegenteil, er drückte Aly noch etwas fester an die Wand und sein hässliches Grinsen breitete sich nun wieder über sein Gesicht aus, "Jimmy," meinte er zu dem Typen der abhauen wollte, "Hast du den keine Lust dich noch etwas zu amüsieren?" Dabei begann er Aly das T-Shirt brutal von der Schulter zu reisen und presste dann seinen ekligen Lippen auf die Ihren. Mit aller Kraft versuchte sie ihn von sich zu stemmen, doch das schien den Typen nur noch mehr anzuspornen. Sie wollte schreien, doch die Angst lies sie förmlich die Kehle zuschnüren. Bitte...Bitte nicht... betete sie stumm, doch es schien keiner hier zu sein der sie erhörte. Der Andere Typ der eigentlich abhauen wollte, stand nun auch einfach nur da uns grinste sie belämmert an. Doch in seinen Augen war zu lesen, dass ihm gefiel was er da sah. Ihr T-Shirt zerrissen, den Blick frei auf ihre nackten Brüste. Oh nein, er würde seinen Kumpel nicht davon abhalten, niemand würde das...

Der Typ der seine ekligen Lippen auf ihre gepresst hatte, begann nun ihre Brüste anzugrabschen und versuchte dabei ihr die Hose zu öffnen. Mit aller Kraft wehrte Aly sich zu dagegen, versuchte sich loszureißen und schaffte es schließlich ihm ihr Knie in seine Eier zu rammen. Mit schmerzverzerrtem Gesicht lies er sie los und griff sich an den Schritt, doch bevor Aly die Möglichkeit bekam zu fliehen packte er sie bereits wieder und schrie sie mit hasserfülltem Gesicht an, "Schlampe...du verdammte kleine Schlampe..." Und mit voller Wucht schlug er ihr dabei ins Gesicht. Der Schmerz durchfloss ihren Kopf wie ein Wasserfall und sie hatte das Gefühl die Besinnung zu verlieren, als sie plötzlich wieder die Stimme des Anderen hören konnte, "komm schon, verdammt lass uns abhauen bevor die Bullen kommen..." Es schien als ob der Kerl der sie immer noch hielt nun doch endlich auf seinen Kumpel hörte. Sie fühlte wie sich der Griff um ihren Hals langsam lockerte bis er sie ganz losließ.
Stöhnend fiel sie auf die Knie, als ein erneuter Schmerz ihren Körper durchdrang. "Schlampe..." konnte sie seine Stimme nochmals hören nachdem er ihr mit seinem Fuß noch einen Tritt in die Magengegend gegeben hatte. Und dann konnte sie hören wie sich die Schritte der Zwei schnell laufend entfernten.

Benommen blieb sie am Boden liegen, vom Regen durchnässt und blutverschmiert, doch sie lebte noch. Sie wusste nicht wie lange sie so da gelegen hatte, halb wach, halb bewusstlos, bis sie langsam wieder einen klaren Gedanken fassen konnte. Vorsichtig versuchte sie sich hochzuziehen, schaffte es aber nur in eine sitzende Position. Das zerrissene T-Shirt verdeckte ihre Blöße nur noch halb und das Blut das ihr aus der Nase gelaufen war, verkrustete langsam und die Schmerzen ließen etwas nach. Sie musste hier weg, sie konnte nicht hier sitzen bleiben. Doch wohin sollte sie? Zur Polizei konnte sie nicht und ein Krankenhaus konnte sie auch gleich aus der Liste streichen.

Sie nahm ihr zerrissenes T-Shirt und versuchte sich erst einmal das Blut vom Gesicht und vom Hals zu reinigen um es dann nochmals mit aufstehen zu versuchen. Was ihr schließlich, sich an der Wand abstützend auch gelang.
Kurz lehnte sie sich an der Wand an, schloss die Augen und versuchte ruhig durchzuatmen, versuchte die Übelkeit zu verdrängen die hochgestiegen war.

Als sie ihre Augen wieder öffnete sah sie sich um. Von den zwei Typen war nichts mehr zu sehen. Halbwegs erleichtert atmete sie auf. Schließlich stieß sie sich von der Wand ab und begann ihre Kleider die überall auf dem Boden verstreut herum lagen ein zusammeln, und stopfte sie zurück in die Tasche. Dann zog sie sich ihre Jeansjacke über. Dies alles machte sie mechanisch und als wäre es das Normalste auf der Welt. Doch nichts war normal. Sie fühlte sich schmutzig, erniedrigt und sie hatte Angst. Noch nie hatte sie solche Angst gehabt. Doch sie durfte nicht länger darüber nachdenken. Sie musste irgendwo unterkommen, musste hier weg.

Sie nahm ihre Tasche und ging durch die Gasse bis sie sich schließlich wieder auf der 5th.Ave. befand. Weit über den Dächern der Hochhäuser ging langsam die Sonne auf und es wurde heller. Geschäftsleute liefen geschäftig durch die Strassen, hielten hie und da an um sich an der Ecke einen Kaffee zu genehmigen und sich die neuste Ausgabe des Wall Street Journal zu kaufen. Sie schien gottlob nicht weiter aufzufallen. Nur hie und da drehten sich ein paar Leute mit verstohlenen Blicken zu ihr um, wie sie da so unschlüssig mit ihrer Tasche in der Hand stand. Doch die meisten Menschen waren viel zu sehr mit sich selbst beschäftigt, als das sie sich um Andere kümmern konnten.

Nachdem sie hin und her überlegt hatte was sie nun machen sollte, fiel ihr plötzlich das alte Lagerhaus an der 12th.Ave. ein. Ein altes Lagerhaus, direkt am Hudson River. Rave hatte sich dort öfters mit Kunden getroffen. Und wenn sie Glück hatte stand dieses Gebäude immer noch leer. Sie konnte sich erinnern das sich im hinteren Teil des Hauses ein kleines Zimmer befand. Es war nicht viel, doch immerhin war es trocken und sie konnte davon ausgehen, dass sich dort niemand aufhielt, ansonsten hätte es Rave nicht so oft als Treffpunkt genutzt.
Entschlossen nahm sie ihre Tasche und lief die Stufen zur Metro runter die sie direkt zur 12th.Ave. bringen würde.

Um die Mittagszeit herum war in dem kleinen Bistro immer eine Menge los. Nur vereinzelt gab es noch freie Tische. Da Rave, um weniger aufzufallen, hier keinen Stammplatz hatte, setzte er sich einfach an den nächst besten, freien Tisch. Zwar war Rave insgesamt schon keine unauffällige Erscheinung, aber das musste man ja nicht noch unnötig betonen. Auf dem Weg zu dem freien Platz, blieb er kurz an der Theke stehen und bestellte sich schon mal eine Cola. Zwar war er auch schon wieder hungrig, aber mit dem Essen würde er wohl noch warten müssen, bis Gordie auch da war. Das Glas hatte er schnell vor sich stehen, die Bedienung hier war immer recht fix. Er dachte über das bevorstehende Gespräch nach, über die neuen Kunden und über die Finanzierung in weitere Projekte. Aber irgendwie konnte er sich nicht so richtig konzentrieren.

Immer wieder schweiften seine Gedanken ab, in Richtung Aly. Er war noch immer äußerst ungehalten über ihren Selbstmordversuch, oder was auch immer das gewesen sein sollte, was sie da auf dem Balkon veranstaltet hatte. Und was ihn beinahe noch mehr störte war die Tatsache, dass sie es am nächsten Morgen nicht einmal für nötig befunden hatte, auch nur ein klitzekleines Wörtchen darüber zu verlieren. Stattdessen hatte sie nach Drogen gefragt. Mit finsterer Miene sah durch die großen, nicht ganz sauberen Fenster hinaus auf die Straße. Die Leute strömten in hektischer Betriebsamkeit ihrer Wege, zum Job, zum Einkaufen, in die Mittagspause, oder einfach nur nach Hause. Rave machte sich im Allgemeinen wenig Gedanken über das Leben und Sterben anderer Menschen. Die Leute da draußen waren für ihn nur eine unbestimmte Masse, der seine gesteigerte Aufmerksamkeit zu schenken reine Zeitverschwendung war. Die Geräusche der vorbeifahrenden Autos und Busse drangen ebenso gedämpft an sein Ohr, wie die Stimmen der Menschen an den Nachbartischen. Alles zusammen verschmolz, wie die Menschen auf den Gehsteigen, zu einem formlosen Hintergrund, welchen das Gehirn nach einer Weile beinahe völlig ausblenden konnte.

Nachdem Aly sich erst einmal hatte orientieren müssen wo sie lang musste - sie war ja noch nie zu Fuß hier gewesen- fand sie das Lagerhaus schließlich. Es stand in einer verlassenen Gegend des Hafenviertels und hätte sie eine andere Wahl würde sie sich nicht alleine hier her wagen. Doch da ihre Möglichkeiten im Moment mehr als beschränkt waren war sie erst einmal froh wenn sie zumindest für ein paar Tage hier unterkommen konnte.

Sie ging zu dem Hintereingang den Rave immer benutzt hatte und drückte die Klinke runter. Die Tür lies sich ohne weiteres öffnen. Sie wäre auch erstaunt gewesen wenn nicht. Wer schließt schon einen so alten Schuppen ab. Sie betrat das Haus und sah sich vorsichtig um, nur um sicher zu sein, das sich nicht noch andere Personen im Innern befanden. Die Halle war mit unzähligem altem Kram gefüllt. Irgendwelchen Maschinen die vor sich hin rosteten, dicke Schiffsseile und sogar einen alten Anker konnte sie sehen. Doch sie kümmerte sich nicht weiter um die Dinge, sondern steuerte das Zimmer im hinteren Teil des Hauses an. Als sie die Tür zu dieser öffnete stellte sie erstaunt fest das alles noch genau so aussah wie damals als sie mit Rave hier war. In der Ecke lag eine Matratze am Boden, daneben stand ein kleiner Tisch mit 2 Stühlen, ein Spüle und an der Decke baumelte einsam eine Glühbirne. Wahrlich kein Luxusappartement aber, besser als auf der Straße allemal.

Sie schmiss ihre Tasche neben der Matratze auf den Boden und fing dann die durchnässten Kleider aus zupacken und über die Stühle zum trocknen zu legen. Dann legte sie sich auf die Matratze und starrte die Decke an. Ihr Gesicht schmerzte und sie fror in der nassen Kleidung. Aber immerhin war sie nun im trocknen. Die Wunden die ihr der Kerl zugefügt hatte würden heilen, ob die Wunden, welche man nicht Äußerlich sehen konnte allerdings auch so schnell wieder heilen würden war eine andere Frage. Schließlich schloss sie erschöpft ihre Augen und war binnen weniger Minuten eingeschlafen.

Sie hatte keine Ahnung wie spät es war als sie wieder aufwachte. Doch sie fühlte sich in keinster Weise besser. Im Gegenteil. Ihr Hals schmerzte und sie schlotterte obwohl sie Schweiß auf ihrer Stirn fühlen konnte. Langsam versuchte sie aufzustehen, was ihr aber erst beim dritten Anlauf gelang, da ihre Knie so vom Schüttelfrost übermannt wurden das sie kaum stehen konnte. Sie ging, oder besser schwankte zum Waschbecken um sich ihr Gesicht mit etwas Wasser zu befeuchten und ein paar Schlucke zu trinken. Das Wasser schmeckte nach Chlor, aber dies war ihr im Moment egal. Als sie aufsah, konnte sie ihr Gesicht in dem Spiegel darüber sehen. Und was sie sah erschreckte sie. Sie sah wie eine Leiche aus. Blass mit rot unterlaufenen Augen. Ihre Haare schienen jeglichen Glanz eingebüßt zu haben und sie hätte ohne weiteres jedem Vampir Konkurrenz machen können. Obwohl Vampire ja eigentlich schön waren, was man von ihr im Moment nicht behaupten konnte. Das T-Shirt hing ihr mehr oder weniger lose um den Oberkörper und war blutverschmiert, genau so wie ihre Jeans. Sie wandte den Blick schnell wieder von dem erschreckenden Spiegelbild und ging dann zurück in die Lagerhalle. Sie brauchte irgendetwas womit sie sich zudecken konnte. Irgendetwas was sie, zumindest im Ansatz, etwas wärmte. Und nach einigem rumgestöbere in dem alten Ramsch hatte sie tatsächlich Glück. sie fand unter einer Plane, eine alte Seemannsdecke. Sie nahm Diese und ging wieder in das Zimmer zurück, in dem sie sich nun den nassen Kleider entledigte. Dann nahm sie die Decke und legte sich, eingewickelt in Dieser wieder auf die Matratze. Es ging nicht lange und sie fiel erneut in einen fiebrigen, unruhigen Schlaf.


Erst durch seinen Namen, den er auf einmal aus den anderen Geräuschen heraus hörte, wurde er aus seinen Betrachtungen gerissen. Sein Kopf fuhr herum und er sah in die graublauen Augen von Gordie, der ihn mehr oder weniger gut gelaunt ansah. Gordie machte sich nicht einmal die Mühe, sich für sein Verspäten zu entschuldigen, warum auch? Jeder wusste das und außerdem konnte er sich das erlauben. Mit einem Nicken bedeutete Rave ihm, dass er sich setzen sollte. Bevor sie jedoch anfingen über das Geschäft zu reden, studierten sie die Speisekarte und gaben ihre Bestellungen auf. Mit vollem Magen war es doch um einiges angenehmer, um über Geld zu reden.

Die Besprechung selber war kurz und knapp, Rave erklärte was er von Gordie verlangte, dieser nannte seinen Preis und Rave sicherte ihm die Zahlung zu. Hin und wieder kam es schon mal zu einer kurzen Diskussion, wenn Gordie gar zu gierig wurde, aber trotzdem waren sie nach einer guten halben Stunde mit allem fertig, außer mit dem Essen. Dann gab es Nachtisch, Rave bestellte sich ein Stück gedeckten Apfelkuchen mit Sahne, und Gordie einen Schnaps, auf den meistens noch ein zweiter und ein dritter folgten. Aus diesem Grund verabschiedete Rave sich auch möglichst schnell, mit der Bitte um Rücksprache, sobald es etwas zu berichten gab. Außerdem schätzte er Gordie zwar als Geschäftspartner, aber nicht als Mensch.

Dann verließ er das Bistro. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass er immer noch reichlich Zeit bis zu seiner Verabredung mit Lex hatte. Zeit, die er jetzt irgendwie rum kriegen musste. Zurück ins Hotel wollte er nicht, vielleicht war ja Aly da schon wieder aufgekreuzt und die brauchte er jetzt nicht so dringend. Er entschied, dass er noch bei einem seiner neuen vielleicht-Kunden vorbeischauen wollte. Ein Überraschungsbesuch konnte viel über einen Menschen, dessen Motive und Vorstellungen verraten. Wichtige Informationen, die ihm bei seinen Entscheidungen helfen konnten, die ihm zusätzliche Sicherheiten verschafften. Jede Kleinigkeit, und mochte sie noch so unbedeutend erscheinen, konnte ihm irgendwann einmal seinen schönen Hals retten. Nach der Stippvisite wäre es dann auch schon spät genug, um sich zu der alten Lagerhalle, dem mit Lex vereinbarten Treffpunkt, zu begeben.

Der Besuch war in der Tat sehr aufschlussreich und effektiv gewesen. Rave hatte einen neuen Kunden hinzugewonnen und die richtigen Dinge erfahren, um ihm den Neuen gefügig machen zu können. Zufrieden mit dem erzielten Ergebnis setzte er sich in seinen Wagen und machte sich auf den Weg zum Hudson River.
Weil er immer noch genügend Zeit hatte, nahm er einen Umweg in Kauf, der ihn dafür allerdings über die Schnellstraße führte, auf der er sich dann hinreißen lies, diese mit dröhnenden Boxen zu befahren. Nicht, dass er die volle Leistung seines Wagens hätte voll ausfahren können. So gesehen war sein Wagen weniger nützlich, als einfach ein Statussymbol. Allerdings hatte Rave sich das Auto nicht gekauft um andere damit zu beeindrucken, das hatte er nicht nötig, sondern einfach weil er Spaß daran hatte.

Raves Laune war zwar nach wie vor nicht als gut zu bezeichnen, aber auf jeden Fall wesentlich entspannter als vorher. Er parkte seinen Wagen hinter einem Container, so dass er von der Straße aus nicht zu sehen war.
Nicht, dass hier besonders viele Leute vorbeigekommen wären, die Gegend hier war nicht unbedingt als beliebt zu bezeichnen. Er schloss den Wagen ab, und steckte sich dann erstmal eine Zigarette an, irgendwie war ihm danach. Diese rauchte er gemütlich auf und schlenderte dann auf die Lagerhalle zu. Da er davon ausging, dass Lex noch nicht da war, war er überrascht, als er entdeckte, dass anscheinend heute schon jemand die Halle betreten hatte. Hin und wieder wurde sie zwar auch mal von Jugendlichen als Treffpunkt genutzt, stand sonst aber absolut leer. Die Staubschicht auf dem Boden zeigte ihm aber an, dass hier schon lange niemand mehr durchgelaufen war. Abgesehen eben von einer Spur, die zielstrebig auf das kleine Hinterzimmer zuführte.
Die Schuhabdrücke waren seiner Meinung nach zu klein, um von einem erwachsenen Mann zu stammen.
Vielleicht also ein Jugendlicher … oder eine Frau.

Es war erstaunlich, dass ihm als erstes Alys Name durch den Kopf ging. Erstaunlich … vielleicht auch nicht, wenn man bedachte was in den letzten Stunden alles passiert war. Aber es war schon irgendwie ärgerlich, dass er das nicht einfach so, wie sonst auch immer, ausblenden konnte. Mit gespannter Körperhaltung, der Hand an der Tasche, in der er für Notfälle eine Handfeuerwaffe verstaut hatte, und möglichst leise ging er also zu dem kleinen Hinterzimmer. Erst lauschte er, aber als er recht flache Atemgeräusche hörte, beruhigte er sich schon wieder. Vermutlich hatte sich ein Junkie, oder ein Penner hierher verirrt. Rave machte vorsichtig die Tür auf, um sich seine Vermutung zu bestätigen, als ein Laut der Überraschung über seine Lippen kam. „A-l-y?“

Als Aly wie aus weiter Ferne eine Stimme hörte öffnete sie langsam ihre Augen und richtet ihr Blick in die Richtung aus der die Stimme zu kommen schien. Obwohl sie sich heiß anfühlte, fror sie immer noch und ihr ganzer Körper schien unkontrolliert unter dem Schüttelfrost zu klappern. Sie versuchte zu erkennen wer da ihren Namen genannt hatte, doch mit ihren fiebrigen Augen konnte sie nur eine schemenhafte Gestalt ausmachen.
Jonny? War er gekommen um sie zum Abschlussball abzuholen? Nein, er musste doch wissen dass sie krank war und nicht mitgehen konnte. "Mum?" Es musste ihre Mutter sein. Sicher brachte sie ihr eine warme Suppe und einen Tee, so wie sie es immer tat, wenn Aly krank war. Aber weshalb kam sie dann nicht näher? Und ein Tablett konnte sie auch nicht erkennen. Nun vielleicht war es auch ihr Dad, der ihr ein Buch brachte. Er wusste das Aly am liebsten las wenn sie krank war.

Sie versuchte sich etwas aufzurichten, doch es war als ob ihr Körper ihr nicht gehorchen wollte. Kraftlos lies sie sich wieder zurück sinken und zog die Decke etwas hoch. Wenn es doch bloß nicht so kalt wäre. Dann sah sie wieder zu der Gestalt. Es musste ihr Dad sein. "Dad?" sie versuchte zu erkennen ob er ein Buch in der Hand hielt, doch mehr als seine Umrisse konnte sie nicht ausmachen. Es war als ob sich ein grauer Schleier auf ihre Augen gelegt hätte. Zudem brannten sie so stark dass sie immer wieder blinzeln musste. "Dad ..., ich glaube ich kann nicht lesen.... es ist alles so..." Es war alles so surreal. Sie schloss die Augen wieder und noch bevor sie ihrem Dad für das Buch danken konnte fiel sie wieder in einen Dämmerzustand, der sie irgendwo zwischen Realität und Fantasie wandern lies.

Aly sah nicht nur beschissen aus, ganz verdreckt und mit zerrissenen Kleidern, sondern ihr schien es auch noch beschissen zu gehen. Sie phantasierte. „Fuck!“ stieß Rave ungehalten aus. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. „Scheiße, Aly.“ Machte ihm diese Frau denn nur Ärger? Er trat zu ihr, berührte ihr vor Fieber glühendes Gesicht und schreckte zurück. Zwischen den Ärger drängte sich nun Besorgnis. Er sah auf die Uhr. Bis Lex hier auftauchte, konnte noch gut eine halbe Stunde vergehen. Und so lange konnte er Aly ja schlecht hier liegen lassen. Aber was sollte er mit ihr tun? Konnte er das Risiko eingehen, sie in ein Krankenhaus zu bringen?
Als er ihren zitternden Körper betrachtete, erledigte sich diese Frage von selbst. Er hatte gar keine andere Wahl, er musste sie ins Krankenhaus bringen. Denn sonst … würde sie vielleicht sterben? „Oh Aly, was machst du denn nur …“ murmelte er leise, hin und her gerissen. Sollte er sie selbst fahren oder einen Krankenwagen rufen? Dann konnte er den Notarzt verständigen und sich verziehen. Dann wäre er anonym und aus dem Schneider, liefe dann nicht auch Gefahr, irgendwie aufzufallen. Andererseits …

Leise vor sich hin fluchend, nahm er Aly in seine Arme, und trug sie zu seinem Wagen, platzierte sie auf dem Beifahrersitz und brachte dabei irgendwie das Kunststück zustande, ihr dabei nicht den Kopf an der Tür oder so einzuschlagen. Das leise Stöhnen, welches ab und an über Lippen kam, verstärkte seine Besorgnis und er fuhr um einiges schneller, als er eigentlich sollte. Brachte diese Frau ihn jetzt schon dazu, sämtliche Sicherheitsvorkehrungen zu missachten? Vielleicht sollte er sich ja, wenn er sie im Krankenhaus abgeliefert hatte, der Polizei ausliefern, und freiwillig in den Knast gehen. Endlich kam das Gebäude des Krankenhauses in Sicht. Er parkte direkt vor dem Eingang. Der Pförtner kam sofort heraus gewatschelt und ihn darauf aufmerksam zu machen, dass das Parken hier verboten sei. Rave ignorierte den keifenden Mann, schob ihn bei Seite und hievte Aly aus dem Wagen, um sie dann unverzüglich in das Gebäude zu tragen.

Verschwommen bekam Aly mit wie sie jemand hochhob, aber dieser Jemand war nicht ihr Vater, sondern.... Rave? Aber was machte Rave hier in ihrem Zimmer? Und weshalb wollte er sie von hier wegbringen? Nein sie wollte nicht fort von hier. Ihre Ma war doch hier, sie würde sich schon um Aly kümmern. Und in ein paar Tagen wäre sie wieder fit und dann konnte sie mit Johnny die Abschlussfeier nachholen.

Sie sah ihn an und wollte ihm sagen dass er sie hier lassen sollte, dass er einfach gehen sollte und sie hier in ihrem Zimmer lassen sollte. Doch es kam kein Ton über ihre Lippen, einmal abgesehen von einem leichten Stöhnen als er sie hochhob. Nein...nein warum konnte er sie den nicht hier lassen? Sie wollte nicht wieder zurück. Doch sie konnte sich nicht gegen ihn wehren. Nicht nur ihre Stimme gehorchte ihr nicht mehr sondern auch ihre Arme und Beine wollte ihr nicht mehr gehorchen. Schlaff und resigniert lies sie sich von ihm hochheben und nach draußen in den Wagen bringen, in dem sie wieder in einen unruhigen, von Fieber übermannten Schlaf fiel.

Als er mit Aly auf dem Arm die Eingangshalle betrat, fuhren einige Blicke herum und starrten ihn an. Eine Schwester kam gleich auf ihn zugelaufen und fragte ihn, was denn los sei. „Sie braucht Hilfe, sieht man das nicht?“ schnauzte er sie ungehalten an. Die Frau mittleren Alters sah ihn mit gerunzelter Stirn an, rief dann aber einen Pfleger herbei, der eine Bahre herbei schaffte, auf der Rave Aly ablegen konnte. Der Pfleger schob sie einen Gang entlang. Die Schwester schien schon wieder Anstalten machen zu wollen, irgendetwas zu sagen, aber Rave ignorierte sie und ließ sie einfach stehen, um dem Pfleger zu folgen. Himmel, er benahm sich ja wie ein besorgter Ehemann. Er, der große Rave war so bescheuert, sie persönlich in einem Krankenhaus abzuliefern, wo sie gleich sicher seine Personalien aufnehmen wollten. Nur wegen seinem Namen konnte man ihn zwar nicht dauerhaft Einbuchten, aber er war der Polizei halt nicht unbekannt.

Als der Pfleger Aly in ein Zimmer schob, kam auch ein Arzt angelaufen und machte die Tür vor Raves Nase zu. Wütend wollte er einfach hinterher stürmen, aber er hatte sich hier schon auffällig genug benommen. Eine Weile blieb er vor dem Zimmer stehen, dann ging er ein paar Schritte und ließ sich, wider besseren Wissens, auf eine Bank nieder. Er sollte jetzt gehen, er wusste, dass er jetzt gehen sollte. Und trotzdem tat er es nicht. Wieder fluchte er still vor sich hin, während er darauf wartete, dass der Arzt oder der Pfleger heraus kamen, um ihm zu sagen, dass Aly wieder gesund wurde. – Damit er sie anschließend mit eigenen Händen erwürgen konnte!!! Die Zwischenzeit nutzte er, in dem er Lex eine Nachricht schickte, in der er das Treffen absagte und angab, dass er sich später nochmal melden würde.

Dr. Carter, ein junger Arzt der noch nicht sehr lange im County General arbeitete, war zusammen mit dem Pfleger in das Behandlungszimmer gegangen. Er brauchte nicht lange für seine Diagnose, das Mädchen welches da auf der Liege lag, schien eindeutig einen Lungenentzündung zu haben. Trotzdem ordnete er noch einige Tests an bevor er von der Schwester informiert wurde dass ein junger Herr, welcher das Mädchen gebracht hatte, vor dem Zimmer sitzen würde. Er wandte sich an den Pfleger und gab ihm Anweisung ihr erst einmal ein Antibiotikum zu verabreichen. Dann ging er vor die Tür um mit diesem Herrn zu reden.

Nachdem er die Tür des Behandlungszimmers hinter sich wieder geschlossen hatte, wandte er sich an den Mann der Davor saß. "Guten Tag, mein Name ist Carter, Dr. Carter. Sie haben die junge Dame gebracht, ist das richtig?" Er musterte den Typen vor sich, bevor er weiter sprach, "ich brauche einige Angaben von Ihnen, neben den Personalien die Sie mir bitte auf diesem Blatt hier ausfüllen," er reichte ihm einen Bogen zum Ausfüllen, "müsste ich noch einige Angaben über die Dame haben. Wie heißt sie? Hat sie irgendwelche Krankheiten von denen ich wissen sollte? Haben Sie einen Impfpass sowie einen Blutgruppen - Ausweis von ihr dabei? Besteht der Verdacht auf eine Schwangerschaft?" Alles Routinefragen, die sie im Notfall auch mit diversen Untersuchungen raus finden konnten, doch es war immer besser wenn ein Familienangehöriger da war der Diese beantworten konnte. "Ach, und bitte vergessen sie beim Ausfüllen der Personalien nicht ihre Versicherungsnummer anzugeben."

Als Carter, Dr.Carter, vor ihm stand, sah Rave ihn fragend an. Aber anstatt ihm die in seinem Blick stehende Frage zu beantworten. überhäufte ihn dieser Arzt selber mit Fragen. Die ersten Zwei ließ Rave noch einigermaßen geduldig über sich ergehen, aber dann stieg die mühsam unterdrückte Wut in ihm hoch. Wieder war er kurz davor seine Selbstbeherrschung zu verlieren. „Jetzt komm mal wieder runter!“ zischte er, während sich seine Hand zur Faust ballte. „Ich will nur wissen wie es ihr geht, und ob sie wieder gesund wird!“
Am besten war es vermutlich, jegliche Bekanntschaft zu Aly zu leugnen. Aber ob es dazu nicht zu spät war? Hatte er sich nicht viel zu emotional aufgeführt, als dass sie ihm abkaufen würden, dass Aly eine Fremde war? „Ich hab sie gefunden, da war sie schon so …“ meinte er, und behauptete damit indirekt sie nicht zu kennen. Er zwang sich selber zur Ruhe.

Er wollte nur wissen, was mit Aly war. Danach würde er verschwinden, bis man sie wieder raus ließ. Und dann … dann würde er all das mit ihr tun, was er sich gerade in seinem Kopf ausmalte. Oh ja, sie würde sich danach sicherlich wünschen zurück ins Hospital zu dürfen. Er durchbohrte den jungen Arzt mit finsteren Blicken, in der Hoffnung ihn damit einzuschüchtern. Wenn Rave wütend war, dann wirkte er noch respekteinflößender als sonst. Die eine Hand war immer noch zur Faust geballt, aber durch die langen Ärmel seines Mantels halb verborgen. Die andere hatte er in seine Manteltasche gesteckt, wo seine Finger nun etwas kaltes und glattes berührten. Seine Waffe. Innerlich stöhnte er auf. Die hatte er total vergessen. Gott, wie hatte er nur so dämlich sein können, und mit einer Pistole in ein Krankenhaus gehen können?

Doch Dr. Carter, so jung er auch war, lies sich von der Art dieses Mannes nicht beeindrucken. Es war nicht das erste Mal das ihm aufgebrachte Angehörige gegenüberstanden. Dass er aber ein Angehöriger war, dementierte der Typ gleich als er ihm sagte, dass er das Mädchen so gefunden hatte. Was ihn nun allerdings doch etwas stutzig machte. Wenn er, so wie er behauptete, oder so wie es von seinen Worten ausging, das Mädchen nicht zu kennen schien, weshalb war er dann so aufgeregt? Man konnte Cr. Carter ja einiges vorwerfen, doch er besaß zumindest ein bisschen Menschenkenntnisse.

"Nun, es tut mir leid, aber wenn Sie nicht ein direkter Verwandter sind, darf ich Ihnen leider auch keine weiteren Auskünfte geben. Hilfreich wäre allerdings wenn Sie mir sagen könnten, wo Sie die junge Dame gefunden haben, und ob Sie womöglich einen Ausweis oder sonst irgendwelche Papiere bei sich trug, Mr....?"
Er sah den Typen ruhig an. Das irgendetwas faul an der Sache war, war klar. Er hatte bei dem Mädchen Spuren von körperlicher Gewalt gefunden. Gut möglich das dies hier ihr Freund oder was auch immer war, und er sie womöglich so zugerichtet hatte.

Doch noch ehe ihm der Typ antworten konnte, kam die Schwester um ihm die Ergebnisse der Untersuchungen zu bringen. Er überflog kurz die Laborwerte. Die Anzahl der weißen Blutkörperchen war eindeutig erhöht was die Lungenentzündung bestätigte. Zudem sah er, dass der Drogentest ebenfalls positiv war. Was das Ganze erheblich erschwerte. Denn er würde das melden müssen. Er wandte sich wieder an den Typen, "Also folgendermaßen, entweder Sie sagen mir nun genau wo Sie sie gefunden haben und was Sie sonst noch wissen, oder Sie werden diese Fragen gleich der Polizei beantworten müssen."

Bitte was?“ Das konnte doch jetzt nicht sein Ernst sein!?! „Verdammt noch mal, ich will überhaupt nicht wissen, welche scheiß Krankheit sie hat, ich will nur wissen, ob Sie sie wieder hinbekommen, damit ich endlich hier abhauen kann. Ich habe nämlich einen Job und keine Zeit mich hier mit Ihnen unnötig aufzuhalten!“ Er atmete schwer um nicht die Kontrolle zu verlieren. Die Knöchel an seiner zur Faust geballten Hand traten weiß hervor, so fest presste er sie zusammen.

Er hätte hier niemals aufkreuzen dürfen, er hätte einfach einen Krankenwagen rufen sollen und sich anschließend verpissen sollen. Aber zum Verpissen war es jetzt, dem Gesichtsausdruck des Arztes zur Folge, eindeutig zu spät. Nachdem er den Zettel, den eine Schwester ihm brachte, gelesen hatte, gelesen hatte, änderte sich dessen Verhalten insofern, dass er es nicht mehr mit ruhigen Worten versuchte, sondern Rave jetzt mit der Polizei drohte. „Was zum Teufel steht da drauf?“ polterte Rave alarmiert los und versuchte einen Blick auf das Papier zu werfen. Aber selbst wenn es ihm gelungen wäre, hätte er das Fachchinesisch sicher nicht verstanden.

Vermutlich war es besser jetzt zumindest nach Außen hin zu kooperieren. „In einer Seitenstraße am Stadtrand. Sie sah schon so aus. Ich würde keine Frau so zurichten.“ Er schnaufte verächtlich. Nein, das hätte er in der Tat nicht. Rave überfiel keine wehrlosen Frauen. Dann seufzte er und stimmte sich auf seine neue Rolle in. „Entschuldigen Sie … ich bin noch immer ziemlich aufgewühlt. Ich habe,“ er warf einen Blick auf die Uhr, „in einer Viertelstunde ein wichtiges Meeting …“ Er versuchte jetzt, einen auf geplagten Geschäftsmann zu machen, was ihm zwar auch gut gelang, wofür es aber vielleicht schon zu spät war. „Ich wäre Ihnen wirklich dankbar, wenn Sie mir sagen könnten, was mit dem Mädchen ist, damit ich weiter kann. Ich lasse Ihnen meine Nummer da, wenn Sie darauf bestehen, aber ich bin wirklich in Eile.“

Ob sich Carter damit abspeisen ließ? Oder würde er sich wenigsten kurzfristig verpissen, damit Rave dasselbe machen konnte? Er konnte sehr überzeugend sein, wenn er es darauf anlegte.

"Es tut mir leid, aber wie ich bereits erwähnt habe darf ich keine weiteren Auskünfte geben, wenn sie nicht direkt mit dem Mädchen verwandt sind." Carter sah ihn nach wie vor ruhig an. Auch als der Typ erneut versuchte mehr über ihren Zustand zu erfahren. Er wusste allerdings auch, dass er ihn nicht ohne irgendwelche Anhaltspunkte hier festhalten konnte. Und doch, irgendwie hatte er das leise Gefühl, das dieser Typ das Mädchen heute nicht zum ersten Mal gesehen hatte. Aber es war nicht seine Aufgabe das herauszufinden, Dafür war die Polizei verantwortlich und allenfalls das Sozialamt, falls es sich bei dem Mädchen um eine Obdachlose handeln sollte.

"Nun, in dem Fall..." setzte er an, kam aber nicht weiter als sich die Tür zum Behandlungszimmer hinter ihm öffnete. "Doc, bitte kommen sie schnell...sie kollabiert..." die Schwester die aus dem Behandlungszimmer trat winkte ihn aufgeregt in das Zimmer und Carter hatte somit keine Zeit mehr sich weiter um den Typen zu kümmern.

Die Vitalfunktionen hatten sich massiv verschlechtert. Er sah auf das EKG, welches die Schwester bereits angeschlossen hatte, und auf die Sauerstoffsättigung welche bedrohlich fiel. "Na los Beatmen..." er gab die üblichen Anweisungen, doch noch bevor er ihr eine Ampulle Suprarenin spritzen konnte, schien sich ihre Atmung, wie auch ihre Herzaktivität wieder zu normalisieren. Leise atmete Carter auf. Zur Sicherheit spritzte er ihr aber dennoch ein leichtes Mittel. Dann überprüfte er erneut ihre Temperatur, das Fieber war immer noch hoch, doch es schien langsam zu fallen. Das Antibiotikum schlug also an. Er wollte sich bereits wieder zurück zur Tür wenden um zu sehen ob der Typ noch da war, als er sah wie das Mädchen die Augen aufschlug.

Langsam kam Aly wieder zu sich. Sie öffnete vorsichtig die Augen und versuchte sich irgendwie zu orientieren? Wo war sie? Und was war passiert? Sie sah in das Gesicht eines Mannes den sie definitiv nicht kannte. Doch anhand seines weißen Kittels konnte es sich nur um einen Arzt handeln. Aber was machte ein Arzt hier? Dad... nein nicht ihr Dad war es den sie zuletzt in Erinnerung hatte sondern Rave. "Rave...." brachte sie schließlich leise hervor, "Wo bin ich.... Rave?" Sie versuchte sich etwas aufzurichten doch die Hände des Arztes drückten sie wieder zurück in das Kissen. "Sie sind im Krankenhaus, ein Mann hat Sie hergebracht, scheinbar hat er Sie auf der Strasse gefunden. Können Sie mir ihren Namen sagen?"

Gefunden? Aber wieso? Wie bin ich den auf die Strasse gekommen? Irgendetwas stimmte nicht. Und wieso war sie in einem Krankenhaus? Sie musste hier weg, sie konnte nicht hier bleiben ... Erneut versuchte sie sich aufzurichten, "Es tut mir leid... aber ich muss nun gehen..." Und erneut waren es die Hände des Arztes die sie sanft, aber bestimmt zurück drückten. "Sie können nicht gehen, sie haben eine Lungenentzündung und es wäre verantwortungslos von mir wenn ich Sie nun gehen lassen würde. Außer Sie können mir die Nummer von irgendwelchen Angehörigen geben die Sie hier abholen können. Ansonsten werde ich Sie hier behalten müssen."

Das war nun nicht gut, sie konnte ihm keine Nummern oder sonstige Angaben geben. Resigniert wandte sie den Kopf ab. Am besten wäre es wohl wenn sie im Moment überhaupt nichts mehr sagen würde, doch der Arzt schien das Anders zu sehen. "Können sie mir ihren Namen sagen Miss? Und sie nannten vorhin einen Namen.... Rave...? Können wir diesen Rave irgendwie verständigen?" Aly wandte ihren Kopf wieder dem Arzt zu, "es tut mir leid, aber ich kann mich an nichts mehr erinnern.... ich kennen keinen Rave..."

Dr. Carter war nicht dumm, er merkte sofort das das Mädchen log, doch im Moment schien es keinen Zweck zu haben sie weiter auszufragen. Sie würde ihm ja doch nicht mehr verraten. Vielleicht war es sowieso besser wenn er einen Psychologen hinzuziehen würde. "Ok Miss, wenn Sie etwas brauchen fragen Sie einfach Schwester Abby hier, sie wird sich um Sie kümmern. Ich werde später wieder nach Ihnen sehen." Mit einem leisen Seufzen wandte er sich ab, als ihm der Typ vor der Tür wieder einfiel. Vielleicht sollte er sich doch noch einmal mit ihm unterhalten. Sofern er denn noch da war.

Und er war noch da, er hatte tatsächlich gewartet, was wiederum Carters Annahme bestätigte das der Typ das Mädchen wahrscheinlich eben doch kannte. War vielleicht ... womöglich sogar er dieser Rave? Nun das lies sich doch ganz einfach rausfinden. Er schloss die Tür des Behandlungszimmers wieder hinter sich und blickte ihn dann direkt an, "Sie sind ja doch noch da.... Rave.."

Rave rollte mit den Augen und starrte Carter wütend an. Sicher gab es da diese Vorschriften, aber man konnte sich auch anstellen. Der hätte sich schließlich keinen Zacken aus der Krone gebrochen, wenn er ihm nur gesagt hätte, dass es Aly wieder besser gehen würde. Aber warum war ihm das eigentlich so wichtig zu wissen? Dieses Weib machte ihm doch wirklich nur Ärger… Vermutlich war es derselbe unergründliche –und völlig bescheuerte- Grund, sie überhaupt bei sich aufzunehmen. Er konnte bis heute nicht verstehen, was ihn damals geritten hatte …

Doch bevor Carter noch mehr sagen konnte, und sich Rave zu einer vermutlich unpassenden Bemerkung hinreißen lassen konnte, wurde die Tür zum Behandlungszimmer aufgerissen, und Carter wurde herein gerufen. An sich ein erfreulicher Augenblick – wenn die Schwester nicht so nervös geklungen hätte und dieses böse Wort benutz hätte. Kollabiert ... Rave hatte zwar nur eine wage Vermutung über die Bedeutung, aber ihm war sofort klar, dass dies keine Freudennachricht war.

Als sich die Tür hinter Carter schloss, stand Rave wie bestellt und nicht abgeholt auf dem Flur. “Scheiße, scheiße, scheiße …“ murmelte er leise vor sich hin, während sein Verstand ihn beglückwünschte und ihn anwies, die Gunst der Stunde zu nutzen und somit ungeschoren aus dem Ganzen herauszukommen. Aber er ging nicht. Rave, auf dessen Verstand sonst immer Verlass war und der sich von persönlichen Dingen niemals ablenken ließ, brachte es einfach nicht fertig das Krankenhaus zu verlassen. Frustriert ließ er sich wieder auf die Bank nieder und starrte Löcher in die Gegenüberliegende Wand. Er hätte jetzt gerne eine geraucht, aber in einem Krankenhaus tat man so etwas nicht, und er sollte es wohl vermeiden, sich noch weiter mit dem Personal anzulegen.

Als Carter nach einer Weile wieder aus dem Zimmer kam, schreckte Rave auf. „Was, wie … ja?“ fragte er und registrierte im ersten Moment gar nicht, dass Carter ihn mit seinem Vornamen angesprochen hatte. Doch dann fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Einen winzigen Moment zuckte sein Blick, den Rest seiner Mimik hielt er mühsam unter Kontrolle. Kein Grund zur Aufregung! ermahnte er sich selbst. Zwar hatte Carter die richtigen Schlüsse gezogen – hatte Aly nach ihm gefragt? – aber vermutlich hätte Rave auch auf jeden anderen Namen so reagiert, es war also kein Beweis für irgendetwas. Trotzdem konnte er sich dem unguten Gefühl, dem jungen Arzt in die Falle gegangen zu sein, nicht erwehren. „Wie geht es dem Mädchen?“ fragte er, in der Hoffnung, endlich eine Antwort zu bekommen und Cartes Gedankengänge irgendwie zu unterbrechen.

Also doch, Carter schien mit seiner Vermutung richtig zu liegen, wie ihm die Reaktion von dem Typen zeigte. Dennoch war er sich noch nicht 100% sicher. Aber alleine die Tatsache dass er immer noch hier vor der Tür wartete und nicht so wie er gesagt hatte eiligst wieder weg musste, verstärkte seine Vermutung. "Nun Mr. ... ich habe Ihnen bereits gesagt das ich keinerlei Auskünfte geben darf wenn ich nicht sicher sein kann das Sie mit dem Mädchen verwandt sind.“ Er blickte den Typen ruhig an. "Doch wie wär's mit einem Deal?" Ok, Carter wusste das Dies nicht ganz die handelsübliche Art war, doch solange er ihm nicht mehr erzählte als das es dem Mädchen den Umständen entsprechend ging, verletzte er auch nicht die ärztliche Schweigepflicht.

Er wartete einen Moment fuhr dann aber fort, "Wie wär's wenn Sie mir etwas mehr über das Mädchen verraten würde, ihren Namen zum Beispiel und was genau passiert ist, und ich könnte mich eventuell dazu überreden lassen Ihnen auch eine Auskunft über ihren Gesundheitszustand zu geben... Rave... das ist doch Ihr Name...?"
Carter sah ihn gespannt an. Und sollte er sich doch als Verwandter ausweisen können, würde er ihn sowieso nicht davon abhalten können zu dem Mädchen ins Zimmer zu gehen.

Na da hatte Aly ihn ja schön in die Scheiße geritten. Oder vielmehr hatte er sich das selbst zuzuschreiben. Carter hatte ihn längst durchschaut. Dieser Deal, den er Rave vorschlug, sagte ihm allerdings, dass Carter sich noch nicht ganz sicher war, aber bei Raves heutigem Geschick würde es sicherlich nicht mehr lange dauern. Aber wenigstens etwas, denn Rave entsetzte sich gerade selbst, in dem er einen Augenblick ernsthaft über Cartes Angebot, dieses völlig inakzeptable Angebot, nachdachte. Schnell schüttelte er den Kopf. „Hören Sie Carter, ich würde Ihnen wirklich gerne helfen – wenn ich denn könnte. Ich habe Ihnen bereits alles gesagt was ich weiß. Wo ich sie gefunden habe, und dass sie sich bereits in diesem Zustand befand. Und da Sie anscheinend völlig besessen von Ihren bescheuerten Regeln sind, und mir ja partout nichts sagen wollen, nehme ich an, dass unsere äußerst aufschlussreiche Unterhaltung hiermit beendet ist.“ Auf die Frage, ob er Rave wäre, antwortete er nicht, ging nicht einmal ansatzweise darauf ein.

Aly hatte also seinen Namen genannt, und nun glaubte dieser Schwachkopf Carter natürlich, dass dieser ominöse Rave Aly so zugerichtet hatte. Er schnaufte unwillig und drehte sich um. „Einen schönen Tag noch, Carter!“ meinte er ironische zu dem jungen Arzt und eilte dann mit großen Schritten den Flur entlang. Aber selbst für Rave fühlte es sich wie eine Flucht an. „Scheiße, Aly …“ murmelte er leise. Bei der nächsten sich bietenden Gelegenheit bog er um eine Ecke, um aus Cartes unmittelbarem Blickfeld zu gelangen. Als er ein Herrenklo entdeckte, öffnete er kurzerhand die Tür und verschwand darin.

Dort lehnte er sich erstmal gegen die Wand, schloss einen Augenblick die Augen und massierte sich die Schläfen. Gut, dass Aly offensichtlich keine Papiere bei sich gehabt hatte. Schlecht, dass er sie nicht vorher nach verräterischen Hinweisen untersucht hatte. Raves Selbstbild hatte einen gewaltigen Riss bekommen. Ihm, der immer alles kontrolliert hatte, schien nun langsam alles durch seine Finger zu rinnen, sich seiner Kontrolle zu entziehen. Vor allem er selbst.

„Fuck!“ rief er, um Selbstbeherrschung ringend. Als dann plötzlich in einer der Kabinen die Spülung betätigt wurde, zuckte er erschrocken zusammen. Ein Mann kam heraus, nickte ihm fahrig zu, wusch sich die Hände und verließ eiligst das Klo. Rave beachtete ihn kaum. Wieso hatte er nicht vorher nachgeschaut, ob jemand auf den Toiletten war? So was durfte ihm doch nicht passieren. Aber anscheinend legte er es heute auch noch besonders darauf an, möglichst viele Fehler zu begehen. Und warum? Wegen Aly? Nein, das konnte nicht sein, durfte nicht sein, das war völlig unmöglich. Vielleicht hatte er ja Grippe … oder einen vorübergehenden Aussetzer seiner geistigen Fähigkeiten. Beinahe hätte er selbst über sich gelacht.

„Was für ein ausgemachter Schwachsinn!“ Er schüttelte den Kopf, trat zum Waschbecken und spritzte sich etwas Wasser ins Gesicht. Dann betrachtete er sein Spiegelbild. „Mann siehst du heute scheiße aus.“ warf er sich selbst vor, eher er sich selbst den Rücken zuwandte und wieder auf den Flur trat, bereit, seinen nächsten großen Fehler zu begehen.

Carter sah dem Typen kopfschüttelnd nach. Gut wen er nicht wollte, nicht sein Problem. Schlussendlich war er sowieso nur darum besorgt, dass es dem Mädchen gesundheitlich wieder besser gehen würde. Für alles andere war die Polizei zuständig. Und Diese würde er nun auch informieren. Mit eiligen Schritten bewegte er sich in die andere Richtung zum Empfang um der Schwester, die Dienst hatte, ausrichten das sie die Polizei anrufen solle. Dabei nahm er sich gleich die nächste Krankenakte und ging damit zum nächsten Patienten.

Aly lag unruhig in dem Bett. Die Schwester die im Raum auf und ab ging machte sie nervös. Und erst als diese endlich zu einem anderen Patienten gerufen wurde, beruhigte auch sie sich etwas. Sie fühlte sich schon etwas besser, und mit dem sinken des Fiebers kamen auch die Erinnerungen zurück. Ihre, mehr oder weniger, unüberlegte Flucht, die zwei Typen die sie beinahe vergewaltigt hatten. Und das Lagerhaus. Doch ab da wurde alles schleierhaft. Nur an Raves Gesicht konnte sie sich noch erinnern. Ob er sie hier her gebracht hatte? Aber woher hatte er gewusst, dass sie in dem Lagerhaus war? Oder war es einfach nur Zufall gewesen, das er sie dort gefunden hatte? Doch dass er sie hier her gebracht zu haben schien verwunderte sie nun doch etwas. Immerhin war es nicht ungefährlich für ihn. Nein, es konnte nicht Rave gewesen sein, der sie hergebracht hatte. Er würde dieses Risiko nie eingehen. Sie seufzte. Doch für sie war es auch ein Risiko länger hier zu bleiben. Sie musste hier weg, und das am besten so schnell wie möglich.

Noch etwas wackelig auf den Beinen, den aufkommenden Schwindel verdrängend, stand sie auf und musste sich doch erst einmal am Gestell de Bettes festhalten. Nach ein paar Sekunden aber hatte sie das Gefühl das es gehen würde. Sie tappte zu dem Morgenmantel der an der Wand hing und zog sich diesen über. Ihre Kleider sowie alles andere mussten noch im Lagerhaus sein. Mist, so würde sie doch nie unauffällig weg kommen. Dennoch öffnete sie vorsichtig die Tür und sah sich auf dem Flur um. Ein paar Schwestern gingen den Flur runter doch sie schienen sie nicht zu bemerken. Gut, sie öffnete die Tür zum nächsten Behandlungszimmer und trat ein. Und scheinbar schien sie wenigstens einmal Glück zu haben. Auf dem Stuhl der neben dem Bett stand lagen ein paar Jeans und ein Hemd, welches offensichtlich dem Typen gehörte der im Bett lag. Er hatte die Augen geschlossen, doch Aly war sich nicht sicher ob er auch wirklich schlief. Deshalb tappte sie so leise wie möglich zu dem Stuhl, schnappte sich die Kleider und eilte damit wieder aus dem Raum.

Draußen sah sich erneut um, da, Toiletten stand über einem Pfeil an der Wand. Eiligst ging sie, mit den Kleidern unter den Armen auf diese zu. Sich immer umsehend ob sie auch keinem auffiel. Und als sie schließlich vor diesen stand öffnete sie rasch die Tür um hinter dieser zu verschwinden. Schnell schlüpfte sie in eine der Toiletten, schloss die Tür hinter sich, um sich dann die Kleider anzuziehen. Zugegebenermaßen, sie waren ihr viel zu groß, doch es musste genügen, bis sie zurück beim Lagerhaus war um sich ihre zu holen.

Nachdem sie sich umgezogen hatte, ging sie wieder raus auf den Flur und konnte dabei gerade sehen wie zwei Cops um die Ecke bogen. Scheiße, sie musste so schnell wie möglich hier weg....

Als er aus dem Herrenklo trat, sah er sich erstmal nach links und rechts um. Links sah er zwei Polizisten die um die Ecke bogen und er bedauerte Carter nicht den Hals umgedreht zu haben. Er wandte sich nach rechts, weil ihm die Möglichkeit zurück auf die Toilette zu flüchten und sich somit in einer Sackkasse zu befinden nicht sehr klug erschien. Rechts allerdings erblickte er dann Aly, die in viel zu großen Herrenklamotten den Flur hinunter ging. Erstaunt riss er seine Augen auf und beinahe wäre ein Laut der Überraschung über seine Lippen gekommen. Aber erstaunlicherweise fasste er sich wieder und eilte mit großen Schritten, aber wie er hoffte unauffällig, hinter Aly her. Einerseits war er sehr erleichtert, denn wenn sie schon wieder herum lief, dann konnte ihr Zustand ja nicht mehr so schlimm sein. Andererseits hatte er deutlich die Besorgnis in Cartes Augen gesehen, es war bestimmt nicht besonders klug, dass sie jetzt schon wieder herum turnte.

Die Polizisten konnten ja eigentlich noch nicht wissen, dass er Rave war, der mutmaßliche Frauenverprügeler. Wenn diese beiden denn tatsächlich von Carter gerufen worden waren, was durchaus nicht der Fall sein konnte. Denn in einem großen Krankenhaus in einer Stadt wie New York war es gar nicht mal so ungewöhnlich, dass die Polizei herkommen musste. Aber er wollte kein Risiko eingehen – kein weiteres jedenfalls. Schnell hatte er Aly eingeholt. Er legte seinen Arm um ihre Hüfte, so dass es von hinten so aussehen musste, als würden sie zusammen gehören, und hätten sich vor der Toilette getrennt, und nun wieder getroffen. „Dreh dich nicht um, verhalte dich ganz normal.“ wie er sie an, er wusste ja nicht, ob sie die Polizisten schon gesehen hatte, ansonsten wusste sie eigentlich, wie sie sich zumindest theoretisch zu verhalten hatte. Bis er sich sicher war, dass sie ihn erkannt und verstanden hatte, war seine Haltung, trotz der oberflächlichen Gelassenheit, sehr angespannt.

Danach drehte er seinen Kopf halb zur Seite, einerseits um Aly anzuschauen, andererseits um aus den Augenwinkeln die Polizisten im Blickfeld zu behalten. „Wie geht’s dir?“ fragte er sie leise, nicht verhindern könnend, dass seine Stimme sehr besorgt klang. Nicht besorgt wegen ihrer Situation, sondern besorgt um Alys Zustand. Sie wirkte sehr blass und weitaus weniger gesund als er gehofft hatte. Gerne hätte er sie ausgefragt, was ihr passiert war und warum zum Teufel sie in dem alten Lagerhaus gewesen war. Ein Glück, dass sie sich dieses Ziel ausgesucht hatte, denn sonst wäre sie wohlmöglich in einer stinkenden Gasse elendig verreckt, so wie damals, als er sie gefunden hatte.

Aber diese Fragen hatten Zeit bis später, jetzt mussten sie erstmal hier weg. Er zwang sich ruhig zu gehen, unauffällig, aber hin und wieder bemerkte er trotzdem Unregelmäßigkeiten in Alys Schritten. Hoffentlich brach sie nicht auf dem Flur zusammen. So gut wie möglich stützte er sie und verlangsamte das Tempo noch ein wenig. Langsam aber sicher kamen sie dem Ausgang näher, obwohl die Polizisten noch hinter ihnen waren, jetzt allerdings schon sehr nahe.

Vielleicht hätten sie es geschafft, vielleicht wären sie unbemerkt aus dem Krankenhaus verschwunden, wenn nicht in diesem Moment die Krankenschwester aufgetaucht wäre, die Aly in dem Zimmer betreut hatte. Die erkannte Aly natürlich, und auch Rave, wie er unschwer an ihrem erst verdutzten, dann alarmierten Gesichtsausdruck erkennen konnte. „Scheiße …“ murmelte er leise und resignierend.

Kaum hatte Aly sich allerdings Richtung Ausgang zugewandt, konnte sie plötzlich einen Arm um ihre Hüfte fühlen. Beinahe hätte sie sich umgewandt und wahllos auf die Person eingeschlagen als sie aber eine, ihr nur allzu bekannte, Stimme dicht an ihrem Ohr vernahm, ”Dreh dich nicht um, verhalte dich ganz normal.“
Rave! Also doch. War doch er es gewesen der sie hier her gebracht hatte. Aber wieso? Er riskierte doch damit sein eigenes Leben. Eine Eigenschaft welche nun so gar nicht zu ihm passte. Doch es blieb nicht lange Zeit für solche Fragen. Sie mussten hier so schnell wie möglich raus. Als er ihr aber den Kopf etwas zuwandte, schien es ihr doch als ob so etwas wie Sorge aus seiner Stimme hinaus zu hören war. „Es geht...“ flüsterte sie leise, sah ihm dabei aber nicht in die Augen. Das es ihr bei weitem nicht so gut ging, wie sie ihm hier versuchte weis zu machen, schien er von selbst zu merken. Doch das tat im Moment ebenso wenig zur Sache wie ihre Fragen, die ihr im Kopf herumschwirrten. Wichtig war nun erst einmal das sie hier rauskamen.

Sie hatten den Ausgang schon beinahe erreicht als just in diesem Moment ihnen jene Krankenschwester entgegenkam welche, sie im Zimmer betreut hatte. Sofort versuchte Aly ihren Kopf abzuwenden, ihr Gesicht an Rave‘s Schulter zu verbergen, doch zu spät. Sie hatte Aly erkannt. Einen Moment stand sie nur ruhig da, als ob sie sich wirklich überzeugen musste, dass dieses Mädchen hier, in den viel zu großen Kleider, jenes war welches sie eben noch im Bett liegend gesehen hatte. Doch dann tat sie einen Schritt auf sie zu. “Miss, Sie dürfen noch nicht wieder aufstehen, bitte kommen Sie unverzüglich mit mir zurück ins Zimmer. Was Sie hier machen ist gefährlich.“ Die Schwester stand zwar ruhig da, doch man konnte sehen das sie in Alarmbereitschaft war. Insbesondere wohl auch, weil der Typ, der das Mädchen ja bis vor ein paar Minuten nicht zu kennen schien, sie nun festhielt.

Aly, hob ihr Gesicht wieder und sah die Schwester nun ihrerseits an. „Es geht mir gut, wirklich... Ich... Ich gehe nun nach Hause... Er,“ sie deutete leicht auf Rave, „hat mir nur schnell geholfen und mir ein Taxi bestellt...“ nahm ihr das die Schwester ab? Konnte sie sie überhaupt hier behalten? Nein, nahm sie nicht.... Und ja, konnte sie! Ein Blick genügte um ihre Fragen zu beantworten. Die Schwester rief zwei Sicherheitsmänner zu sich und gab Beiden die Anweisung Aly wieder zurück in ihr Zimmer zu bringen. Doch Aly hatte auf keinen Fall vor sich geschlagen zu geben, außerdem war da noch immer Rave der sie festhielt. Doch als die beiden Männer sie nun versuchte zu packen, ging sie einen Schritt zurück, „Nicht, fasst mich nicht an...“

Die Worte der Schwester bestätigten Raves Vermutung, dass Aly wohl wirklich besser in einem Bett aufgehoben wäre, am besten auch mit ärztlicher Betreuung, aber darauf konnte er im Moment keine Rücksicht nehmen. Sobald sie wieder Zuhause waren, oder besser in seiner kleinen Zweitwohnung etwas außerhalb der City, konnte Aly sich ausruhen und er würde, wenn es sein musste, auch einen Arzt seines Vertrauens konsultieren. Allerdings bezweifelte er gerade sehr, dass das so einfach werden würde.

Er wollte gar nicht auf die Schwester reagieren, sondern einfach stur weiter gehen um so zu tun, als wären sie wohl nicht gemeint, als Aly zu reden anfing. Gar nicht mal so dumm zu behaupten, dass er sie zum Taxi habe bringen wollen, allerdings unter den gegebenen Umständen doch sehr unglaubwürdig. Und das sah die Schwester leider genauso.

Noch bevor er irgendetwas sagen konnte, mal ganz davon abgesehen dass er vermutlich völlig egal gewesen wäre, rief sie die beiden Sicherheitsmänner her, die sich auch gleich pflichtbewusst an ihre Arbeit machen wollten. Aber Rave dachte nicht daran, Aly loszulassen. Vielleicht hatten sie ja doch noch eine Chance. „Hören Sie,“ versuchte er es im bestimmten, aber ruhigen Tonfall. „die junge Dame möchte gerne nach Hause. Sie gegen ihren Willen hier zu behalten übersteigt Ihre Befugnis.“ sagte er den beiden Wachmännern, die ihren Griff tatsächlich ein wenig lockerten.

Und wäre heute nicht der Tag der Pleiten und Pannen gewesen, hätte es bestimmt funktioniert. Rave hatte schließlich nicht gelogen, solange Alys Zustand nicht unmittelbar lebensbedrohlich war, durfte sie nicht hier festgehalten werden. Aber heute war eben besagter Tag, und so kam es, dass einer der beiden Wachmänner der Waffe in Raves Manteltasche gewahr wurde, die durch das Geschubse wohl irgendwie verrutscht war. Rave verstand erst nicht, warum der eine Wachmann plötzlich etwas blässlich wurde, seinen Kollegen anstieß und schließlich seine eigene Waffe zog und auf Rave richtete.

„Lassen Sie die Frau los, und nehmen Sie die Hände hoch!“ Rave seufzte und verfluchte sich im Stillen für seine unglaubliche Dummheit. Dann tat er wie ihm geheißen wurde. Er ließ Aly los, und nahm langsam die Hände hoch, blieb ihm ja auch nicht viel anderes übrig.

Als die beiden Wachmänner sie tatsächlich wieder los ließen, dachte Aly tatsächlich kurz sie würden sie gehen lassen, doch diese Hoffnung wurde sofort zerschlagen als einer der Wachmänner plötzlich eine Waffe auf sie richtete, oder besser auf Rave. „Lassen Sie die Frau los, und nehmen Sie die Hände hoch!“ Und Rave lies sie tatsächlich los, doch sie ihn nicht. Demonstrativ stellte sie sich vor Rave, so dass sie genau in der Schusslinie der Waffe war. „Er hat nichts damit zu tun, wenn müssen Sie schon erst mich erschießen,“ Und obwohl Aly‘s Stimme zitterte, und sie Angst hatte, blieb sie standhaft zwischen dem Wachmann und Rave stehen.
Allerdings hatte sie nicht mehr an den zweiten Wachmann gedacht, der sie nun packte und versuchte von Rave wegzuziehen. Doch so schnell gab sie nicht auf. „Verdammt lass mich los...“ sie versuchte sich zu wehren, versuchte sich an Rave festzuhalten, denn solang sei in seiner Nähe war würde der andere Wachmann nichts machen können.

Doch dieser schien ihren Griff zu Rave falsch zu verstehen. Was er sah war nur die Waffe unter Rave‘s Jacke und in Gedanken sah er wohl schon wie Aly versuchte zu dieser zu greifen. Und noch bevor Aly sich weiter gegen den Wachmann wehren konnte fiel ein Schuss....

Ein heftiger Schmerz durchzuckte Aly und instinktiv hielt sie sich den Bauch. Unfähig sich noch zu bewegen, starrte sie einfach nur auf den Wachmann vor ihr. Bis Dieser vor ihren Augen zu verschwimmen begann. Ihr viel zu großer Pullover verfärbte sich langsam rot an der Stelle an der die Kugel eingetreten war, doch das sah sie nicht mehr. Überhaupt schien die Welt sich vor ihr plötzlich zu drehen. Sie schwankte leicht und dann wurde alles schwarz um sie. Kraftlos sackte sie zusammen....

Die ganze Situation war durch und durch skurril. Rave stand mit erhobenen Händen in der Eingangshalle des Krankenhauses, ein Wachmann hatte seine Waffe auf ihn gerichtet und Aly klammerte sich wie eine Irre an ihn.
"Aly, komm, lass gut sein." forderte er sie halblaut auf. Er hielt es für besser die Hände oben zulassen, um den nervösen Finger des Wachmanns nicht zu irgendeiner schmerzhaften Dummheit zu verleiten. Aber mit besonders viel Intelligenz schienen beide nicht gesegnet zu sein. Wachmann Nummer 2 hielt es nämlich für eine äußerst kluge Idee zu versuchen, Aly von ihm weg zu ziehen. Noch mal versuchte Rave sie zum Aufgeben zu bewegen. "Aly, hör auf den-"

Doch dann fiel ein Schuss. Im ersten Moment wollte Rave auffahren, den bescheuerten Wachmann zurecht weisen, weil der hier mitten im Krankenhaus um sich schoss, und dabei doch jemanden verletzen könnte, wo doch überhaupt gar kein Grund bestand, da er sich ja friedlich verhielt. Doch dann brach Aly vor ihm zusammen. Er riss die Arme runter, rechnete beinahe mit einem zweiten Schuss der jedoch glücklicherweise ausblieb, und fing Aly auf. "Scheiße, Aly!" Geschockt starrte er auf ihre sich rot färbende Kleidung. Und da Begriff er, dass das kein schwächebedingter Zusammenbruch war, sondern dass dieser bekloppte Mann mit der Waffe gerade auf Aly geschossen hatte. Bauchschuss.

Eine unglaubliche Wut erfasste ihn. Am liebsten hätte er seine Waffe gezogen und das Spatzenhirn niedergeschossen. Der allerdings starrte nur ungläubig auf die Frau in Raves Armen - und auch sein Kollge starrte nur verwirrt vor sich hin. "Ein Arzt! Sind wir hier nicht in einem scheiß Krankenhaus?!?" schrie Rave und endlich rührte sich was. Von irgendwoher tauchte plötzlich Carter wieder auf, mit Liege und zwei weiß gekleideten Mitarbeitern im Schlepptau. Auch die schießwütigen Sicherheitsmänner, welche diese Bezeichnung weiß Gott nicht verdienten, erwachten aus ihrer Erstarrung.

Und während Aly abtransportiert wurde und Rave Handschellen angelegt wurden, durchbohrte er Carter mit kaltem Blick. "Ist es dass was sie gewollt haben, Doktor?" Dann führten sie ihn ab. Er sprach kein Wort, als er in ein Polizeiauto gesetzt wurde. Starr blickte er geradeaus, konzentrierte sich in Gedanken auf Aly - und auf den Wachmann, der seine Tat mit Sicherheit bereuen würde. Soviel war sicher.

Seit einer Stunde saß Rave nun schon in dem Büro des Beamten und starrte schweigend auf ein Foto, welches auf dem Schreibtisch vor ihm stand, ohne es wirklich wahrzunehmen. Seine Hände waren immer noch mit den Handschellen gefesselt. Er hatte nach seinem Anwalt verlangt, aber bisher hatte man ihn dreist ignoriert, ihn in das Büro gesetzt und ihn seinen finsteren Gedanken überlassen. Dann endlich ging die Tür auf und jemand kam in den Raum, vermutlich der zuständige Cop.

"Mr. DeHaven nehme ich an." Detectiv Spooner betrachtete den Mann vor ihm eingehend. Schon lange war er mit dessen Fall vertraut und betrachtete es als persönlichen erfolg, DeHaven nun vor sich sitzen zu sehen. Er setzte sich an seinen Schreibtisch, ordnete geschäftig ein paar Papiere und stellte sich dann kurz und knapp vor. "Detective Spooner." Es ärgerte ihn unheimlich, dass DeHaven so betont gelangweilt aussah, hinter seiner Fassade nicht hervor kam. "Sparen Sie sich die Mühe Spooner, ich will meinen Anwalt sprechen!" Spooner nickte leicht und konnte nicht verhindern, wie ein ärgerliches Stirnrunzeln über sein Gesicht huschte. "Das habe ich mir gedacht ... aber lassen Sie mich Ihnen erst einen Deal vorschlagen. Ich sage Ihnen, wie es Ihrer Freundin geht und Sie erzählen mir, wie es zu der ganzen Situation gekommen ist." DeHaven schnaufte verächtlich. "Dieser schießwütige, hirnlose 'Wachmann' hat auf sie geschossen, ohne dass ein Grund dafür vorlag. Das ist passiert." Spooner seufzte und nickte. Ja, da hatte sich der Mann wirklich zu etwas sehr dummen verleiten lassen. "Das bedauere ich sehr und der Wachmann wird eine Verwarnung bekommen - aber darum geht es jetzt nicht. Für die Vorfälle im Krankenhaus gibt es genug Zeugen. Ich will erstens wissen, was Ihrer Freundin passiert ist, und zweitens warum Sie sie selbst ins Hospital gebracht haben."

Rave grinste kalt. In der einsamen Stunde hatte er genügend Zeit gehabt um sich wieder unter Kontrolle zu bekommen. Reichlich spät zwar, der größte Schaden war schließlich schon angerichtet, aber besser spät als nie. Und von Spooner ließ er sich schonmal gar nichts sagen. An jedem seiner Worte erkannte Rave, dass Spooner nichts gegen ihn in der Hand hatte und jetzt einfach nicht einsehen wollte, dass er Rave nicht würde festhalten können. "Ich will mit meinem Anwalt sprechen. Er wird nicht sehr erfreut darüber sein zu erfahren, dass man mich hier über eine Stunde ohne Berechtigung festgehalten hat." Spooner schüttelte den Kopf. "Ich habe eine Berechtigung, Sie waren mit einer geladenen Waffe im Krankenhaus, und haben versucht das Mädchen zu entführen." Rave lachte höhnisch. "Ja klar. Bullshit Spooner. Nehmen Sie mir endlich die Handschellen ab und lassen Sie mich telefonieren!"

Spooner zögerte. Er wollte nicht, dass DeHaven seinen Anwalt anrief. Wenn der nämlich einmal hier war, dann war es nur noch eine Sache von fünf Minuten, bis DeHaven wieder auf freiem Fuß war. Und DeHaven wusste das ganz genau … nur konnte Spooner leider überhaupt nichts dagegen machen. „Wollen Sie denn gar nicht wissen, ob das Mädchen überhaupt noch lebt?“ versuchte er es noch mal, aber er wusste bereits, dass es aussichtslos war. „Die Handschellen!“ forderte DeHaven seelenruhig. Spooner presste wütend die Lippen aufeinander. Oh wie er diese aufgeblasenen Typen hasste, die sich für etwas besseres hielten. Schweigend stand er auf, öffnete DeHaven die Handschellen und schob ihm das Telefon hin. Dann verließ er den Raum.

Rave lächelte grimmig, und sobald sich die Tür hinter dem Detectiv geschlossen hatte, griff er nach dem Telefon und wählte die Nummer des Krankenhauses.

Nein, das war es sicher nicht was Dr. Carter gewollt hatte. Doch er hatte keine Zeit sich Gedanken über Raves Worte zumachen. Was im Moment zählte war einzig und alleine das Leben des Mädchens zu retten. Er wartete bis das Pflegepersonal Aly aus denn Armen von Rave gehoben und auf die Liege gelegt hatte, dann sah er kurz zu Rave. Und was er ihn seinen Augen zu lesen glaubte erschreckte ihn genauso wie es ihn erstaunte. War da etwa Schmerz... Wut... Angst zu lesen? “Wir werden alles in unserer Macht stehende machen um das Leben von ihr zu retten,” versprach er Rave, bevor er mit Aly zum Operationssaal 1 eilte.

Und genau das machten er und sein Team nun. Es war nicht die erste Schussverletzung die Carter hier verarzten musste und doch war es bedingt durch die Lungenentzündung nicht einfach. Kurz schien es sogar als ob er sein Versprechen nicht halten konnte, als die Lungenfunktion für einen Moment ausfiel. Doch so leicht gab Carter nicht auf. Und irgendwann hatten sie es geschafft. Sie hatten die Kugel erfolgreich rausgeholt. Aly hatte allerdings großes Glück das keines der lebenswichtigen Organe dabei verletz wurden. Nachdem sie die Wunde am Bauch genäht hatten gab er einem Pfleger die Anweisung sie in den Aufwachraum zu bringen. Er selbst ging nach draußen um mit den Polizisten zureden und sie über den Gesundheitszustand das Mädchen informieren.

Als Aly aufachte konnte sie nur schemenhaft die Umrisse eines Zimmers ausmachen. Sie hatte keine Ahnung wo sie war, geschweige den was passiert war. Das einzige Bild welches sich immer wieder vor ihren Augen abspielte war die Waffe vor ihr und Rave hinter ihr... Vorsichtig öffnete sie ihre Augen und versuchte den Kopf zu bewegen, was ihr allerdings nicht gelang. Ihr Kopf dröhnte und ihr Bauch schmerzte. Zudem schien sie eine Übelkeit zu erfassen, sobald sie versuchte sich zu bewegen. Müde schloss sie ihre Augen wieder als sie eine Stimme neben ihrem Bett vernahm. “Kann ich mit ihr sprechen?” Aly kannte die Stimme nicht, doch gleich darauf vernahm sie eine weibliche Stimme, “Ja aber nur ganz kurz, sie braucht Ruhe.” Wo zum Teufel war sie? Und was war passiert? Sie öffnete ihre Augen erneut und sah ihn das Gesicht eines Fremden, ”Miss... Mein Name ist Defago, Detektiv Defago. Können sie mich verstehen? Können sie mir ihren Namen nennen?”
Detektiv? Polizei? Stumm schüttelte sie den Kopf. Nein, sie hatte nicht die Kraft zu sprechen, und sie wollte auch gar nicht...

Gerade als Dr. Carter sich setzen wollte um einen Kaffee zutrinken wurde er auch schon wieder Ausgerufen, “Telefon für Dr. Carter..” Seufzend stand er auf und nahm das Telefon im Personalzimmer ab. “Ja... Dr. Carter am Apparat...” Er wartete und zog dann erstaunt eine Augenbraue hoch als er die Stimme von diesem Rave erkante ....

Als Carter endlich ran ging, verschwendete Rave keine Zeit um sich vorzustellen. „Ich will wissen wie es ihr geht. Sofort!“ forderte er, mit einer Kälte in der Stimme, die ihn beinahe selbst hätte erschrecken können. Einen Moment war nichts als Schweigen am anderen Ende der Leitung zu vernehmen. Dann ein leises Räuspern. „Sie lebt, die Operation ist gut verlaufen, sie wird wieder gesund.“ Dann wieder einen Moment Schweigen, aber Rave hatte das Gefühl, dass Carter noch etwas sagen wollte. „Hören Sie, es tut mir leid, dass was mit dem Mädchen passiert ist …“ fügte er noch leise, beinahe schuldbewusst hinzu. Rave machte sich nicht mal mehr die Mühe darauf zu antworten und legte auf. Ja, Carter tat es bestimmt leid, und dem Wachmann würde es bald noch viel mehr leid tun.

Erst sein zweiter Anruf ging an seinen Anwalt. Das Gespräch war ebenso kurz wie das erste. Zehn Minuten später kam ein Beamter in Spooners Büro und teilte Rave mit, dass er gehen dürfe. Spooner ärgerte sich in diesem Augenblick wohl irgendwo schwarz, aber Rave verschwendete keinen Gedanken an ihn. Weitere zehn Minuten später stieg Rave in ein Taxi, welches ihn zum Krankenhaus zurückfuhr, wo ja noch sein Wagen stand. Er betrat das Hospital nicht noch mal, auch wenn die Versuchung groß war. Aber er musste sich nicht noch mehr Ärger aufhalsen, als er eh schon an der Backe hatte. Denn zwar war er jetzt noch ganz glimpflich aus der Sache heraus gekommen, aber überstanden war es noch nicht. Die Cops wussten nun, dass Aly irgendetwas mit ihm zu tun hatte. Und dann war ja auch noch Alys verstorbene Freundin. Wenn die Cops herausfanden, dass sie die gesuchte Freundin war, dann viel der Verdacht bestimmt wieder auf ihn oder seine Geschäfte. Zwar war das völliger Blödsinn, aber heute hatte sich ja mal wieder herausgestellt, dass sie Cops zu noch viel blöderen Dingen fähig waren.

Rave jedenfalls fuhr jetzt erstmal nach Hause, um sich dort sein weiteres Vorgehen zu überlegen und ein paar Anrufe zu tätigen. Mit Lex musste er noch sprechen, wegen Alys Freundin ein paar Erkundigungen einziehen und nicht zuletzt Maßnahmen bezüglich des Wachmanns in die Wege leiten. Rave war gewalttätiger Mensch wenn es sich irgend vermeiden ließ. Aber wenn man sich einmal seinen ganzen Zorn zugezogen hatte, dann konnte er das schon mal vergessen. Und die Chancen des Wachmanns, dass Rave sich beruhigen würde, standen zugegebener Maßnahmen sehr schlecht.

Darum war das auch das, um das Rave sich kümmerte. Ein kurzer Anruf genügte und als Rave auflegte, lächelte er zufrieden. Der nächste Anruf galt dem Zimmerservice, bei dem er ein schnelles Mittagessen bestellte, bei dem er dann weiter überlegen wollte, wen er am besten Anrufen konnte, bezüglich eines vermeintlichen Mordes an einem Junkies.

Kaum hatte Carter aufgelegt, da wurde er schon wieder ausgerufen. Leicht fluchend stellte er die Tasse mit dem Kaffee in die Spüle und eilte zum Empfang. Der Detectiv, der mit dem Mädchen sprechen wollte, stand dort und schien auf ihn zuwarten. “Was kann ich für Sie tun?” er sah den Mann an. Vielleicht hatte er ja endlich den Namen des Mädchens, nachdem ihm dieser Rave ihn ihm immer noch nicht verraten hatte. Doch genau das schien der Detectiv auch von ihm wissen zu wollen. Carter schüttelte leicht den Kopf, “Es tut mir leid, aber wir haben nichts von ihr gefunden, keine Papiere, keine Ausweise nichts. Hat sie den nicht mit Ihnen gesprochen?” fragend sah er den Detectiv an. Gut, er hatte ihm nun für kurze Zeit erlaubt mit dem Mädchen zu sprechen. Doch hatte er gehofft dass sie wenigstens der Polizei Auskünfte geben würde.
“Nein, sie hat kein Ton gesagt, bitte Dr. Carter, rufen Sie mich an wenn sie soweit fit ist, damit ich sie richtig verhören kann.” Defago gab dem Doc seine Karte und wandte sich dann von ihm ab. Er konnte nur hoffen das dies so schnell wie möglich der Fall sein würde, bis dahin würde er sich in Geduld üben müssen, eine Tugend die nicht unbedingt eine seiner Stärken war.

Carter nahm die Karte und nickte, als sich der Cop verabschiedete. Dann steckte er sich Diese in seinen Kittel und ging Richtung Aufwachraum. Als er die Tür zu Diesem öffnete gab er der Schwester kurz Anweisung das sie dem Mädchen bei Bedarf etwas gegen die Schmerzen geben sollte, denn auch wenn er eigentlich jemandem der Drogenabhängig war, keine starken Schmerzmittel geben durfte so konnte er es nicht zulassen, das sie Schmerzen hatte. Dann stellte er sich neben ihr Bett und sah sie einen Moment schweigend an. Sie hatte die Augen geschlossen und erst jetzt viel ihr auf, wie hübsch sie eigentlich war. Er überprüfte kurz die Werte und schrieb diese auch gleich in das Krankenblatt bevor er sie ansprach, “Miss..., wie fühlen Sie sich?”

Aly öffnete ihre Augen wieder als sie eine Stimme hörte, ein Arzt stand vor ihr, zumindest schloss sie das auf seinen Kittel, den er trug. Noch immer wusste sie nicht was genau passiert war. Überhaupt schien irgendwie eine absolute Leer in ihrem Kopf zu sein, sie konnte sich an Nichts mehr erinnern, an gar nichts mehr. Sie wusste nicht einmal mehr ihren Namen... Weg... Es war einfach alles weg. “Bitte...” sie sah den Arzt an, “was ist passiert? Warum bin ich hier?”

Carter, zog einen Stuhl zum Bett und setzte sich. “Sie wurden angeschossen, wir haben die Kugel rausgeholt, es wird ihnen bald wieder besser gehen. Miss, können sie mir ihren Namen nennen? Können sie mir erzählen was passiert ist bevor ihr Freund sie hier her gebracht hat?” Carter wusste das er sie gerade mit Fragen überhäufte, doch irgendwie misste er ihr doch helfen können, sie musste ihm einfach vertrauen.

Aly sah den Doc verständnislos an? Angeschossen? Aber von wem den? Und wieso? “Doc, bitte... Ich habe keine Ahnung... Ich weis nicht einmal mehr meinen Namen, ich kann mich an nichts mehr erinnern...” Was zum Teufel war nur passiert? Und wer zum Teufel war sie überhaupt?

Nun war es Carter der sie etwas verständnislos ansah? Sagte das Mädchen die Wahrheit? Konnte es sein das sie an einer Amnesie litt? Oder spielte sie ihm hier nur etwas vor? Doch eigentlich lies der Gesichtsausdruck von ihr darauf schließen das sie die Wahrheit sagte, das sie sich wirklich nicht mehr erinnern konnte.
So etwas war nicht einmal außergewöhnlich nach einem solchen Vorfall. Oft kam es vor das sich das Gehirn sozusagen ausschaltete, das es Vorgänge die zu schrecklich waren um sie zu verarbeiten einfach in eine dunkle Ecke verbannte. War dies bei Aly der Fall, so waren ihre Erinnerungen zwar noch da, aber irgendwo tief in ihr verborgen. Möglich das sie sich bereits in ein paar Stunden wieder erinnern würde, möglich das sie Wochen, oder sogar Monatelang nichts mehr wissen würde. Meist halfen vertraute Menschen, vertraute Gegenstände um sich wieder zu erinnern. Doch wie sollte Carter ihr so etwas besorgen, wenn er nicht einmal wusste ob sie außer Rave noch Verwandte oder Freunde hatte? “Miss, was ist das letzte an das Sie sich erinnern können?”

Aly bekam langsam Panik, wie sollte sie ihm etwas sagen wenn sie nichts mehr wusste? Wer war sie? Was war sie? Und was war passiert? “Ich weis nicht genau...” angestrengt versuchte sie sich irgendwie an Irgendetwas zu erinnern, doch das Einzige das sie dabei sah, war dieses Gesicht, das Gesicht dieses Typen. Aber sie wusste das es ein Gesicht war welches sie kannte. Es war ihr vertraut. “... ein Mann, ich weis nicht wer er ist, aber ich kenne ihn...” sie sah den Arzt an, “bitte helfen Sie mir...”

Carter, sah sie ruhig an. Doch er konnte ihr ihm Moment auch nicht mehr helfen als sie etwas zu beruhigen. “Miss, wir werden ihr Gedächtnis wieder herstellen, aber sie werden Geduld haben müssen. Versuchen Sie sich irgendwie zu konzentrieren, nur das kleinste Stückchen, welches Ihnen einfällt könnte hilfreich sein. Und rufen Sie mich sofort, wenn ihnen etwas einfällt.” Er stand auf und drückte kurz Aly’s Hand, “ keine Angst, Miss, es wird alles wieder gut.” Er wandte sich noch einmal an die Schwester und gab ihr Anweisung ihn sofort zu rufen wenn etwas wäre, dann ging er zurück in sein Büro, er musste diesen Rave nochmals anrufen.

Aly sah dem Arzt nach. Sie war total aufgewühlt und in ihrem Kopf schienen sich alle möglichen Gedanken zu überwerfen. In einem Kopf der abgesehen davon leer war. Die Schwester war nun zu ihr getreten und spritze ihr irgendetwas und kurz darauf fiel sie in einen unruhigen Schlaf...

Carter hatte sich an den Schreibtisch gesetzt und die Nummer des Polizeiposten gewählt. Er wartete bis sich jemand am anderen Ende meldetet, "Können Sie mir bitte die Nummer von diesem Rave geben, es ist wichtig, hier ist das Krankenhaus, es geht um die junge Frau." Carter war froh das sich nicht dieser Dedectiv gemeldet hatte, ihm hätte er sicher erst lange und breit erklären müssen, um was es geht. Aber die Dame die abnahm, lies ihn nur ein paar Minuten warten bevor sie ihm Raves vollständigen Namen und die Nummer des Hotels nannte.
Carter hängte auf um gleich darauf diese Nummer zu wählen. Die Frau an der Rezeption leitete ihn auch gleich weiter, doch zu Carters Bedauern kam nur der AB. Na gut, dann würde er ihm halt auf Diesen sprechen.
“Mr... Rave? Carter hier, hören Sie zu, wenn Ihnen etwas an dem Mädchen liegt, dann kommen Sie bitte nochmals in das Krankenhaus. Ich verspreche Ihnen dass Sie keinen Ärger bekommen werden, aber es ist wirklich wichtig dass Sie nochmals vorbeikommen...."

Doch seine Überlegungen wurden von einem durchdringenden Klingeln gestört. Der Telefonanschluss des Hotels. Rave ging grundsätzlich nicht an dieses Telefon, es war ein AB dazwischen geschaltet, und wenn er meinte dass es nötig sei, rief er dann später von seinem Handy aus zurück. Aber meistens war es unwichtig, zumindest für ihn. Wer wichtig war, hatte seine Handynummer.
Als Carter aufgelegt hatte, starrte er nachdenklich auf den kleinen Apparat, auf dem jetzt ein kleines grünes Lämpchen anzeigte, dass er einen Anruf erhalten hatte. „Wenn Ihnen etwas an dem Mädchen liegt, dann kommen Sie bitte nochmals in das Krankenhaus … es ist wirklich wichtig dass Sie nochmals vorbeikommen...."
Was war mit Aly? Was war so wichtig, dass Carter sich die Mühe gemacht hatte, seine Telefonnummer herauszufinden? Und wenn es doch ein billiger Trick war? Aber was sollte das bringen? Die Polizei konnte ihm nichts, er hatte nichts getan, außer vielleicht im Besitz einer nicht gemeldeten Waffe zu sein, aber das war beinahe jeder.

Nein, Rave fand keine andere Erklärung, als die, dass Aly irgendetwas Schlimmes passiert sein musste. Schwebte sie nun doch wieder in Lebensgefahr? “Wenn Ihnen etwas an dem Mädchen liegt …“ Ja verdammt. Ihm lag etwas an diesem Mädchen. Auch wenn sie ihm seit zwei Tagen nichts als Ärger und Scherereien machte. „Oh Aly …“ murmelte er leise, zum wiederholten Male, während er resignierend seinen Platz verließ und sich zum Aufbruch bereit machte. Die Waffe ließ er vorsorglich zurück.

Mit verbissener Miene machte er sich auf zum Hospital – schon wieder. Und er fand es ätzend sich eingestehen müssen, dass er wirklich Angst um Aly hat – auch schon wieder. Diese Frau war nicht gesund für ihn. Okay … er auch nicht für sie, was sich heute wieder einmal mehr herausgestellt hatte. Ja, er hatte schon gewusst, warum er jeglichen Kontakt zu den Menschen die er liebte abgebrochen hatte. Damit so etwas, wie heute mit Aly, nicht geschah. Nicht um sich selbst zu schützen hatte er seine Familie verlassen – sondern um sie zu schützen. Verrückt. Von dieser Seite her hatte er das ganze noch gar nicht betrachtet. „Oh Rave … was machst du nur für Sachen?“ fragte er sich selbst, als er seinen Wagen auf dem Krankenhaus eigenen Parkplatz abstellte.

Kaum eine halbe Stunde nach Carters Anruf klopfte Rave an dessen Bürotür. Er wartete nicht auf ein „Herein.“ sondern machte nach dem kurzen Klopfen die Tür auf und trat ein. Abschätzend musterte er den jungen Arzt. „Da bin ich. Und wenn Sie mir jetzt sagen, dass das nur ein dummer Scherz war, dann will ich nicht in Ihrer Haut stecken.“ Die Drohung in diesen Worten war unverkennbar. Und Rave meinte es ganz genau wie er es sagte. „Also, was ist mit ihr?“ fragte er ihn, ohne seinen forschen Blick von Carter zu nehmen.

Auch wenn Rave es sicht nicht anmerken ließ, so war er doch äußerst nervös. Wenn irgendetwas Schlimmes mit Aly passiert war, dann war er sich nicht sicher, ob er es wissen wollte. Oder vielmehr war er sich sicher, dass er es nicht wissen wollte. Carter sah ihn einen Moment lang forschend an, nickte dann leicht und meinte: „Das Mädchen … Ihre Freundin, oder was auch immer, die Operation ist wirklich gut verlaufen, ihr geht es soweit den Umständen entsprechend gut. Die Polizei war da und hat sie verhört.“ Wieder schwieg er einen Moment, schien beinahe darauf zu warten, dass Rave irgendetwas sagte. Als er dann einsah, dass er darauf vergeblich wartete, sprach er weiter. „Sie sagt, sie erinnere sich nicht mehr, wer sie sei. Nicht einmal an ihren Namen. Dafür aber an einen Mann. Ich glaube nicht, dass sie das nur vortäuscht … und ich glaube, dass Sie dieser Mann sind. Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass es mich nicht interessiert, was genau mit dem Mädchen passiert ist. Aber in erster Linie bin ich Arzt – und ich glaube, dass Sie ihr helfen können sich zu erinnern.“ Auch wenn Carter anfangs misstrauisch gewesen war und Rave verdächtigt hatte, Aly so zugerichtet zu haben, so hatte er bei dem Vorfall in der Eingangshalle deutlich gesehen, dass Rave sich Sorgen um das Mädchen gemacht hatte. Und sie hätte sich bestimmt nicht vor ihn gestellt, wenn er Schuld an ihren Verletzungen getragen hätte.

Rave selbst hatte die Augen misstrauisch zu Schlitzen verengt. Bitte was? Sie erinnerte sich nicht mehr, wer sie war? Das fand er doch ziemlich merkwürdig. Aber er nickte nur stumm und ließ sich von Carter in Alys Zimmer bringen.

Aly, welche immer noch leicht vor sich her dämmerte, begeleitet von wirren Träumen, wachte daraus erst auf, als sie Stimmen hörte, welche unmittelbar neben ihrem Bett sein mussten. Müde öffnete sie ihre Augen und konnte in das Gesicht des Arztes sehen und neben ihm... Ja sie kannte ihn, das war das Gesicht an das sie sich erinnern konnte. Auch wenn sie nicht mehr wusste woher. Doch es war ihr vertrauter als alles andere.

Dr. Carter, konnte die Reaktion die der Anblick von Rave bei Aly sah, sofort erkennen. Auch wenn sie nichts sagte, so sah er doch in ihren Augen dass sie ihn erkannte. “Miss, das ist Rave....” - Rave, ja auch der Name war ihr vertraut, wenn auch sie immer noch nicht genau wusste woher. - “...Ich werde Sie nun mit ihm alleine lassen, vielleicht kann er Ihnen helfen sich an etwas zu erinnern. Wenn etwas sein sollte drücken Sie einfach auf diesen Knopf hier.” Er zeigte ihr den Knopf den sie betätigen konnte, so dass sofort jemand vom Personal benachrichtigt werden konnte.
Dann lächelte er ihr nochmals aufmunternd zu bevor er sich wieder an Rave wandte. “Sie werden doch keinen Ärger machen, wenn ich Sie nun mit dem Mädchen alleine lasse, oder?” Gut er konnte sich nicht vorstellen, das Rave ihr irgendetwas antun würde, denn auch in seinen Augen konnte er die Besorgnis um sie sehen. Er war schon beinahe bei der Tür, als er sich noch einmal umwandte, “Ach, und es wäre sehr hilfreich wenn sie uns endlich ihren Namen verraten könnten....” Und damit ließ er die Beiden alleine.

Aly hatte sich etwas aufgerichtet, sank aber gleich wieder zurück in ihr Kissen, als sie dabei einen heftigen Schmerz in der Magengegend verspürte. Sie sah dem Doktor nach. Nein sie hatte nicht das Gefühl das sie den Alarmknopf betätigen musste. Sie wusste auch nicht wieso, doch sie vertraute Rave. Als sich die Tür des Zimmers hinter dem Doc geschlossen hatte, sah sie zu Rave. Sie war neugierig, gespannt und auch etwas nervös. Sie war sich nicht sicher ob sie überhaupt wissen wollte wer sie war und weshalb sie hier lag. Und doch musste sie es erfahren. “Setzt dich,” forderte sie ihn auf und versuchte dann sich erneut etwas aufzurichten um ihm in die Augen sehen zu können. “Bitte, Carter meinte du kannst mir helfen.... Sag mir wer ich bin... Sag mir wer du bist...”

Schweigend war Rave hinter Carter in Alys Zimmer getreten. Als erstes hatten seine Augen nach Alys Gesicht gesucht, welches zwar abgekämpft und müde wirkte, ansonsten aber recht normal wirkte, so dass er annahm dass sie entweder ein gutes Schmerzmittel bekommen hatte, oder es ihr tatsächlich „den Umständen entsprechend gut“ ging. Das erleichterte ihn ungemein, denn eine Bauchwunde war nichts, was man auf die leichte Schulter nehmen sollte. Trotzdem schwieg er, bis Carter das Zimmer verlassen hatte. Und Ärger wollte er bestimmt nicht machen. Zumindest ihm nicht.

Als er sich sicher war, dass der Arzt wirklich weg war, schnappte er sich einen Stuhl und schob ihn neben das Bett und kam damit Alys Aufforderung nach. Aber nur kurzfristig, denn als sie wieder versuchte sich aufzurichten, sprang er förmlich wieder auf und drückte sie mit sanfter Bestimmtheit zurück in die Kissen. „Du solltest wirklich liegen bleiben …“ tadelte er sie, und ärgerte sich, dass seine Stimme dabei so … weich klang. Na ja, wenn sie wirklich vergessen hatte, wer er war, dann war es ja nicht ganz so schlimm … oder so. Er seufzte leise. Faszinierend, wie ihre bloße Nähe ihn schon wieder dazu brachte, dass er sich nicht mehr wie er selbst benahm und fühlte.

“Sag mir wer ich bin... Sag mir wer du bist...” Schweigend ruhte sein Blick auf ihr, er musste sich stark zusammen reißen, um ihr nicht mit einer zärtlichen Geste eine Haarsträhne aus dem Gesicht zu streichen. Aber nein, dass ginge doch nun wirklich zu weit. Seine Stimme war leise als er anfing zu sprechen. „Du bist …“ die Frau, die mir ständig Ärger macht, die mich völlig aus der Fassung bringt, die mich Dinge tun lässt, die ich niemals tun wollte … die Frau die mir gesagt hat, dass sie mich liebt, obwohl sie mich hassen sollte. „… Aly. Wir wohnen … leben zusammen. Ich bin …“ ein arroganter Kerl, der dich ständig bevormundet und dich am liebsten ein- und ausschalten würde wie eine Maschine, ein Arschloch, das dich vermutlich nicht mit dem gebotenen Respekt behandelt … ein Mann der dir zweimal das Leben gerettet hat und sich weigert eine Antwort auf die Frage nach dem Warum zu finden. „…Rave.“

Aly ... Das also war ihr Name. Wir wohnen … leben zusammen. Ich bin …Rave. “Sind wir...” Nein das waren sie bestimmt nicht, wenn sie verheiratet gewesen wäre dann wüsste Aly das... irgendwie. Aber eines wusste Aly genau, sie empfand etwas für ihn... Rave. Denn wenn auch sie sich nicht mehr auf ihr Gedächtnis verlassen konnte, auf ihre Gefühle konnte sie sich das wohl. “Wo leben wir? Wie leben wir? Was mache ich? Wie haben wir uns kennen gelernt?” Fragen über Fragen die Aly nun hinaussprudelten. Sie musste einfach alles wissen, jedes kleinste Detail. Egal ob ihr die Antworten gefielen oder nicht.

Kurz schloss sie die Augen und da fiel ihr plötzlich etwas ein.... Nur ein Gedankensblitz oder vielleicht auch nur ein Gefühl...? “Ich bin nicht Ich... “ Irgendetwas war da, etwas was in ihrem Leben nicht stimmte, etwas das nicht so sein sollte wie es war. Und erneut hatte sie das Gefühl etwas zu sehen. Ja sie sah sich. Sah sich selbst irgendwo da draußen in New York auf irgendeiner Strasse und es regnete... Alleine dieser Gedanke, dieses Bild lies sie schaudern. Etwas stimmte ganz und gar nicht in ihrem Leben, es war als würde sich alles in ihr zusammenziehen, als ob sie sich nach etwas sehnen würde und es nicht bekommen würde...

Sie öffnete ihre Augen wieder und sah Rave an, “Sag mir wer ich bin....”

Natürlich waren die Informationen, die Rave ihr hatte zukommen lassen nicht besonders ergiebig gewesen. Und so war es auch nicht weiter verwunderlich, dass sie ihn nun mit fragen regelrecht bombardierte. Still ließ er ihren Wortschwall über sich ergehen. Bis auf die erste, waren das alles Fragen, die er nicht beantworten wollte. Wie sollte man einem Mädchen denn bitte erklären, wie es dazu gekommen war, dass sie bei einem Mistkerl wie ihm lebte? Wie sollte er ihr sagen, dass sie Drogenabhängig war und ihm ihren Körper überließ, damit er ihr das gab was sie brauchte?

“Ich bin nicht Ich ...“ Nein, das Mädchen in dem Bett, welches ihn mit großen neugierigen Augen ansah, in denen so ein vertraulicher Ausdruck lag war nicht die Aly, die sich in der letzten Nacht vom Balkon hatte stürzen wollen, die nichts besseres zu tun hatte, als sich am morgen danach wieder eine neue Dröhnung zu verpassen. Hatte er das Recht sie wieder zu diesem Mädchen zu machen? War das hier nicht ihre Chance wieder in ein normales Leben zurückzukehren? Wenn er sie einfach hier ließ … ohne Erinnerungen? War es nicht seine Pflicht als Mensch, sie frei zugeben?

“Sag mir wer ich bin....” Er schluckte schwer. „Wer du bist? Du bist … lebendig. Vermutlich das erste mal seit langer Zeit.“ Einen Moment sah er sie traurig an, mit einem zärtlichen Lächeln auf den Lippen. Aber der Ausdruck verschwand schnell wieder und machte einem bitteren Gesichtsausdruck platz. „Und wenn du willst, dass es so bleibt, dann solltest du mich zum Teufel jagen.“ Er stand auf und drehte ihr den Rücken zu, in dem er zum Fenster ging und hinaus schaute. „Denn ich werde dich töten.“ Harte Worte. Aber wenn sie bei ihm blieb, würde sich für sie nichts ändern … niemals.

Seine Antwort, seine Worte, verwirrten Aly nur noch mehr. Sie lebte... Tat sie das? Doch was war das für ein Leben das sie führte? Warum konnte sie sich an nichts anderes mehr erinnern als an ihn? Was war mit ihren Eltern? Geschwister? Hatte sie überhaupt welche? Ja sie hatte. Sie wusste nicht woher sie das wusste. Sie wusste es einfach. Aber wo waren sie? Weshalb war nur Rave hier? War er der einzige dem etwas an ihr lag? Wie also konnte sie ihn zum Teufel jagen. Gut, sie konnte sich nicht mehr erinnern was passiert war. Doch eines wusste sie genau. Sie liebte diesen Mann irgendwie. Und sie konnte fühlen das auch er etwas für sie empfand. Alleine seine Augen, sein Gesichtsaudruck bei seinen Worten gaben ihr die Bestätigung dafür.

Als er sich nun von ihr abwandte und zum Fenster ging versuchte sie erneut etwas aufzusitzen, die Schmerzen ignorierend. Denn ich werde dich töten. Sie sah ihn an, sah stumm auf seinen Rücken, folgte seinem Blick zum Fenster. “Du kannst mich nicht töten... Rave... Wieso hast du solche Angst? Wieso hast du Angst vor der Wahrheit?”

Ihre Worte trafen ihn wie ein Hammerschlag. “Du kannst mich nicht töten …“ Er starrte aus dem Fenster, ohne wirklich etwas zu sehen, er dachte über Dinge nach, ohne sagen zu können, worüber er genau nachdachte. “Wieso hast du solche Angst? Wieso hast du Angst vor der Wahrheit?” Er fuhr herum. „Oh doch Aly, ich kann … und ich werde. Du willst die Wahrheit? Die beschissene Wahrheit?“ Er schüttelte den Kopf. „Aly … ich du …“ Ja, er hatte Angst vor der Wahrheit. Er, Rave hatte Angst. Er schnaufte und fuhr sich fahrig mit der Hand durch die Haare.

Als er sie dann wieder ansah, war sein Blick ruhig, resigniert aber ruhig. „Die Wahrheit ist, du bist ein Junkie. Du schaffst es kaum einen Tag ohne deine Drogen. Ich habe dich auf der Straße aufgelesen, da warst du halbtot. Wir haben sozusagen eine Vereinbarung. Du befriedigst meine Bedürfnisse, ich die deinen.“ Er schwieg einen Augenblick und sah dann wieder zum Fenster. Er wollte Alys Gesicht nicht sehen, wollte nicht sehen wie sie auf seine Worte reagierte.

„Das hat bis gestern auch alles gut funktioniert. Doch dann hast du mir gesagt, dass du mich liebst. Mich! Ich meine, ich führ mich wie dein Zuhälter auf … und dann so was. Dann wolltest du vom Balkon springen, ich konnte dich so gerade noch halten. Dann bist du abgehauen und ich habe dich in der alten Lagerhalle gefunden, wieder halbtot. Im Krankenhaus hat dich dann einer von diesen bekloppten Sicherheitsleuten fast erschossen … als du dich vor mich gestellt hast. Du wolltest die Wahrheit? Das ist sie Aly. Siehst du nicht, wie bescheuert das ist? Ich rette dir das Leben … und … du versucht krampfhaft es wieder loszuwerden. Und ich helfe dir dabei.“ Schließlich lieferte er ihr die Drogen, die ihr einen langsamen Tod auf Raten bedeuteten. Und an den letzten drei Aktionen war er auch beteiligt, wenn nicht sogar ganz schuldig.

„Und jetzt stehst du vor der großartigsten Wahl deines Lebens. Leben oder sterben.“ das klang dramatisch, tragisch. Entscheide dich bloß nicht falsch … denn die Entscheidung die du nun triffst, wird vielleicht nicht mehr rückgängig zu machen sein

Stumm sah Aly Rave an. Das also war ihr Leben? Das eines Junkies? Das einer Hure? Sie konnte nicht glauben was sie da hörte und doch wusste sie das Rave sie nicht anlog. Die Sehnsucht die sie verspürte, ihr Körper der nach den Drogen schrie, ja selbst ihr Verstand der nun danach schrie, nachdem sie nun wusste was es war. Ja sie konnte es deutlich fühlen das Rave die Wahrheit sagte. Sie war ein Nichts. Abschaum, den man auf der Strasse gefunden hatte. Und nun? Sollte sie eine Chance bekommen ihr Leben zu ändern? Aber weshalb hatte sie dies nicht schon früher gemacht? Wieso war sie den bei ihm geblieben, wenn er es war der sie immer mehr dem Tode entgegen trieb? Er hatte sie in einer Lagerhalle gefunden? War sie vielleicht sogar schon vor ihm weggerannt?

Rave hatte sich wieder dem Fenster zugewandt, doch sie sah ihn nach wie vor an. Ja, ihr Verstand sagte ihr, sollte das alles stimmen was er ihr gesagt hatte. Dann würde dies nun vielleicht ihre Chance sein. Dies Chance von den Drogen wegzukommen, die Chance doch noch etwas aus ihrem Leben zu machen. Warum aber sagte ihr Herz ihr dann etwas anderes? Wieso sehnte sie sich danach das er sie mit demselben Blick ansah wie vor ein paar Minuten als er sie sanft in das Kissen zurückgedrückt hatte? Wieso wollte sie etwas anderes von ihm hören? Wollte hören das er sie ebenso liebte wie sie ihn? Und das tat er. Ihre Erinnerungen mochten weg sein, doch ihre Gefühle trogen sie nicht. Rave empfand mehr für sie als er zugab.

„Und jetzt stehst du vor der großartigsten Wahl deines Lebens. Leben oder sterben.“ Sterben? Nein, sie war sich sicher dass sie das nie gewollt hatte. Leben, ja Leben, das war es was sie wollte. Doch wenn dies bedeuten sollte das sie dafür das einzige Gefühl wessen sie sich sicher war, überhaupt das Einzige, welches sie mit Bestimmtheit wusste, verleugnen musste, was war das den für ein Leben? „Rave...“ es war mehr ein Flüstern, mir welchem sie seinen Namen aussprach, „Rave, Leben bedeutet immer Gefahr, Leben bedeutet zu riskieren. Ja, ich weis dass ich dich liebe, doch was für ein Leben soll das sein, wenn ich nicht für das Einzige was mir geblieben ist kämpfen würde? Und ich glaube... Nein ich bin mir sicher, das du auch so für mich empfindest, sonst wärst du nun nicht hier...“ Sie stützte sich noch etwas mehr auf, sich auf die Zähne beißend um den Schmerz zu ignorieren. „Rave, egal was war... Egal was passiert ist, egal wie manches mal als du mir das Leben gerettet hast, lass es mich dir beweisen, dass es nicht vergebens war...“

Angespannt lauschte er ihren Worten, hin und her gerissen zwischen dem Verlangen sie zu schlagen … und sie zu küssen. Aly, Aly … du weißt doch gar nicht wovon du redest! Das einzige was dir geblieben ist … sollte, kann und darf ich nicht sein! Wütend fuhr er herum. „Scheiße Aly hör auf damit! Glaubst du denn wirklich was du da sagst? Hast du denn gar nichts gelernt?“ Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare und ging nervös ein paar Schritte auf und ab. „Das einzige was dir geblieben ist bin nicht ich, ich war es niemals! Das was dir bleibt ist dein Leben – und das solltest du verdammt noch mal endlich wieder auf die Reihe kriegen. Du sagst du liebst mich – du sagst, dass ich dich … liebe.“ Er schüttelte den Kopf. „Nenn mir einen einzigen Grund, nur einen einzigen, warum ich dich nicht hier lassen sollte? Selbst wenn ich die lieben würde … oder vielleicht gerade dann müsste ich dich hier zurück lassen ….“

Er legte eine Pause ein, in der er schwer schlucken musste, um die wirren Gedanken und Gefühle in seinem Kopf wenigstens wieder ein kleines bisschen unter Kontrolle zu bekommen. „Wenn du mir beweisen willst, dass es nicht umsonst war … dann beweis dir dass es etwas anderes in deinem Leben gibt, für das es sich zu leben lohnt. Das Leben selbst. Willst du denn wirklich so sterben wie deine Freundin, diese Alex? Allein in einer dreckigen Gasse, in deinem eigenen Dreck? Kämpf nicht für das, was du zu fühlen glaubst, kämpfe für dich selbst!“

Wieder legte er eine kurze Atempause ein und sah ihr dann direkt in die Augen. „Und Aly … sag nicht, dass du mich liebst. Denn du kennst mich nicht. Im Grunde weißt du gar nichts von mir … gar nichts …“ Wie sollte sie denn auch, wenn er sich selbst nicht mal mehr kannte? Er hatte soviel Zeit darin investiert zu Rave zu werden, dass er nicht geglaubt hatte, dass von Rafael noch etwas übrig geblieben war. Doch das war ein Irrtum gewesen – und jetzt konnte er sich selbst nicht mehr auseinander halten. Konnte nicht mehr entscheiden, was richtig und was falsch war, weil Rave und Rafael ihn in zwei verschiedene Richtungen zerrten. „Sag nicht dass du mich liebst … sag das nicht …“ Erschöpft und kraftlos ließ er sich auf einen Stuhl fallen. Er wusste einfach nicht mehr weiter.

Aly war wider etwas tiefer gerutscht als sich Rave nun zu ihr umgedreht hatte. „Du willst einen Grund warum ich denke dass du mich liebst?“ Sie sah ihn herausfordernd an, „Weil du dich sonst niemals so aufregen würdest, dir wäre egal was mit mir wird, ob ich mein Leben in den Griff bekommen würde oder nicht. Nein, du wärst nicht hier, würdest mir nicht erzählen was richtig für mich ist. Und du wärst nicht so wütend.“ Sie wandte ihren Kopf kurz ab, er sollte die Tränen nicht sehen die ihr über die Wangen liefen. Egal was er ihr sagte, egal was war. Er war nun einmal der einzige Mensch der sich um sie zu kümmern schien.

Erst als er den Namen Alex erwähnte sah sie ihn wieder an. Und in diesem Moment schien sich der Schleier plötzlich zu lichten. Ob es am Namen ihrer Freundin lag oder daran das er ihr ins Gedächtnis rief das sie eine Freundin verloren hatte... Sie wusste es nicht. Doch in diesem Moment kam alles zurück. Wer sie war, wer Rave war, wer Alex gewesen war. Ihre Familie, ihr Leben. Einfach alles. Stumm sah sie ihn an, als er weiter sprach, bis er schließlich auf einen der Stühle fiel. Sie strich sich die Tränen aus dem Gesicht, doch sie lies ihn nicht aus den Augen. „Sag nicht dass du mich liebst … sag das nicht …“
„Wieso nicht? Wieso soll ich dich anlügen? Ich habe es dir gestern gesagt... Ich sag es dir heute noch einmal. Und heute bin ich klar, ich habe keine Drogen intus...“ Sie hielt kurz inne, griff mit ihrer Hand zu der Narbe am Bauch, welche wieder leicht angefangen hatte zu bluten. Schnell zog sie die Decke etwas höher, dann sah sie ihn wieder an, „Rave, sieh mich an, du sagst ich kenne dich nicht, aber vielleicht kenne ich dich besser als du ahnst...“

Sie sah zum Fenster, es regnete immer noch. Früher hatte ihr Vater ihr immer gesagt wenn es regnete weint der Himmel um einen Stern den er verloren hatte. Dabei sah er sie an, doch der Himmel mag noch lange weinen, den Stern, den er verloren hat, den haben wir geschenkt bekommen und hier auf der Erde leuchtet er tausendmal schöner als am Himmelszelt... Ja sie war immer Daddys Stern gewesen. Und nun? War dieser Stern endgültig verblasst? Oder sollte er vielleicht eine zweite Chance bekommen? Sollte er erneut leuchten. Wenn ja, war es dann nicht seine Pflicht auch für Rave zu leuchten?

Nein, er hatte nicht gewollt, dass sie ihm sagte warum er sie liebe. Er hatte nicht gewollt, dass sie ihm all die Dinge aufzählte, die er falsch gemacht hatte, die ihn nicht mehr er selbst sein ließen, die ihn an sich selbst zweifeln ließen. Er wandte ebenfalls den Blick ab und schüttelte stumm den Kopf. Nein, das wollte er nicht hören, danach hatte er sie nicht gefragt. „Ich sollte gehen, dich hier lassen …“ Das was sie sagte bestätigte ihm dass nur. Sie hatte mit allem recht … und jeder einzelne Grund war Grund genug sie frei zu geben. Sich von ihr zu befreien. Sie hatte ihn zu etwas werden lassen, was er nicht sein wollte, was er abgelegt und hinter sich gelassen hatte. Schließlich hatte er sich ganz bewusst für ei Leben als Arschloch entschieden. Und sein Stolz würde es nicht zulassen, dass sie ihm das kaputt machte.

Und genauso, wie er sich damals von Rafael verabschiedet hatte, würde er sich nun auch von Aly verabschieden – und sie würde zu einem weiteren Teil seines Lebens werden, der vorbei war, den er hinter sich gelassen hatte, mit dem er abgeschlossen hatte. Und das würde die beste Entscheidung sein, für beide. Er würde wieder der Mensch werden, auf den er so lange hingearbeitet hatte, und es würde gut sein – bis eine neue Aly kam. Etwas neues, dass sein Leben aus den Fugen warf, alles was er glaubte in Frage stellte.
Doch bis dahin war viel Zeit, bestimmt ... und bis dahin hatte er sich sicher auch eine Strategie überlegt um mit solchen unvorgesehenen Problemen fertig zu werden. Die Liebe … Rave liebte nicht, niemanden außer sich selbst, und auch dass nicht so, als dass es ihm zu einer Schwäche wurde. Er konnte überhaupt nicht lieben, in seinem Leben war keinen Platz für solche kitschige Lügen. Ja, er war nicht fähig zu lieben, und genau aus diesem Grund brauchte er sich vor Alys Worten auch nicht mehr fürchten.

Er drehte seinen Kopf wieder zu Aly, nicht weil sie es ihm gesagt hatte, er hatte ihr kaum noch zugehört, sondern weil jetzt der Zeitpunkt da war, einen Schlussstrich zu ziehen, um diese unschöne Episode abzuschließen, zu den Akten zu legen. Und jetzt drangen auch ihre Worte wieder an sein Ohr. Mit einem ruhigen Lächeln schüttelte er den Kopf. „Nein Aly … du kennst mich nicht. Niemand kennt mich. Die Menschen, die mich einst kannten wissen nicht einmal mehr ob ich lebe, dass ich noch existiere. Es gibt niemanden mehr der mich kennt. Du sagst du liebst mich … es tut mir leid Aly … wirklich.“ Ein wenig traurig wirkte sein Lächeln nun, als er sich von dem Stuhl erhob und zu ihr ans Bett trat. Dann beugte er sich über sie und flüsterte: „Hör auf mich zu lieben Aly – tu es jetzt, tu es sofort.“

Vielleicht sprach er die Worte aus, um sie und sich von derer Richtigkeit zu überzeugen. Vielleicht sagte er auch nur um ihr weh zu tun. Vielleicht wollte er sich auch selbst wehtun. Und das, was er jetzt als nächstes tat, tat er wirklich nur aus einem Grund, um sich selbst zu beweisen, dass er nicht liebte, dass er es nicht konnte. Er beugte sich noch ein Stückchen weiter vor, schloss die Augen und küsste sie, presste seine Lippen gierig auf die ihren. Aber nur einen Moment, dann riss er sich von ihr los, sah sie beinahe entsetzt an und verließ dann fluchartig ihr Zimmer. Draußen lehnte er sich schwer atmend gegen die Wand. Oh Gott … Was hatte er da gerade getan?!?

Stumm sah sie ihn an, wartet auf eine Reaktion. Doch es kam nichts. Einzig ein stummes Kopfschütteln. Was nun? War sie zu weit gegangen? „Ich sollte gehen, dich hier lassen …“ War es das was er wirklich wollte? Ja vermutlich. War es nicht das gewesen was er immer gemacht hatte. Abhauen, einfach alle Menschen um ihn herum ignorieren? Ein Arschloch sein? Nein, er würde kaltschnäuzig diesen Stern hier weiter verblassen lassen, bis er gar kein Licht mehr abgeben würde. Und sie? Was wurde aus ihr? Was sollte sie nun machen? Nach Hause konnte sie nicht. Hier bleiben auch nicht. Zudem war die Wahrscheinlichkeit groß, das man sie in den Knast oder in eine Entzugsklinik stecken würde. Und dann?

Er sah sie wieder an, ja lächelte sogar. Ein Lachen welches ihr mehr Angst machte als wenn er weiter wütend gewesen wäre. Als er aufstand und zu ihr kam, schienen ihre Augen beinahe trotzig während sie nicht von ihm weichten. „Hör auf mich zu lieben Aly – tu es jetzt, tu es sofort.“
Wie... Wie konnte er so etwas von ihr verlangen? Wie konnte er auch nur denken, dass wenn er nun gehen würde alles wieder gut wäre. Oh nein, er irrte sich. Sie kannte ihn besser als manch einer. Auch wenn er nie zugeben würde, auch wenn sein Stolz ihn daran hindern würde. Sie wusste hinter der Fassade Rave steckte noch ein anderer Mensch. Sie hatte diesen Menschen gesehen. Damals als er sie bei sich aufgenommen hatte. Gestern erst als er sie in den Armen von Ezra erwischt hatte und als sie auf dem Terrassengeländer beinahe abgerutscht war.

“Nein...” flüsterte sie kaum hörbar zurück, doch noch ehe sie wusste wie ihr geschah hatte er sich weiter zu ihr runter gebeugt, bis seine Lippen auf ihren lagen. Nur kurz, aber mit einer solchen Intensität das es ihr beinahe den Atem raubte. Dann sah er sie an, und wieder war es derselbe Ausdruck in seinen Augen, doch dieses mal schien es ihm selbst bewusst zu werden. Das Entsetzen in seinem Blick, bestätigte nicht nur ihr das sie richtig lag... Dann wandte er sich ab und rannte buchstäblich aus dem Zimmer raus.

Aly allerdings musste zugeben das sie nicht minder überrascht über diesen Kuss war. Und als er aus dem Zimmer lief, sah sie ihm einem Moment, unfähig einen klaren Gedanken zu fassen nach. „Dann mach das... hau ab. Ist es nicht das was du immer gemacht hast? .. Ach Scheiße, verpiss dich doch...“ Doch schließlich schlug sie die Bettdecke zurück. Die Infusion die an ihrem Arm hing ignorierte sie, riss sich die Nadel einfach raus und stand auf. Auch die frische Narbe die sie dabei nun ganz aufriss ignorierte sie. Nein, sie konnte ihn nicht einfach so gehen lassen. Sie würde die vielleicht letzte Chance die sie hatte nicht einfach dahin fließen lassen.

Mit wackligen Beinen ging sie ein paar Schritte und streckte dann ihre Arme aus um die Tür zu öffnen. “Rave....” es war nur ein Flüstern, bevor sie die Besinnung verlor und auf den harten Boden fiel...

Von sich selbst und seiner heftigen Reaktion überrascht. Himmel, was hatte er sich mit diesem dummen Kuss den beweisen wollen? Falls er vorgehabt hatte sich damit zu beweisen, dass er Aly so eiskalt verlassen konnte, dann war das mächtig in die Hose gegangen. Aly … In seinem Kopf schwirrte nur Aly herum …. Vor seinen Augen sah er ihr Bild, in seinen Ohren klang ihr Name und auf seinen Lippen fühlte er den Kuss ... brennend heiß. Er ballte seine Hände zu Fäusten, drückte sich die Fingernägel in die Handflächen, ganz fest, damit der Schmerz sie verdrängte. Na, wer ist jetzt der Junkie? „Ich …“
Als er die Finger wieder entspannte und einen Blick auf seine Handflächen warf, war er nicht überrascht ein paar Tropfen Blut zu sehen. Vorsichtig fummelte er ein Taschentuch aus seiner Tasche, während er Aly durch die Tür schimpfen hörte. “Hau ab. Ist es nicht das was du immer gemacht hast?“ Nein, er würde nicht zulassen, dass er sich seine Kleidung mit seinem Blut beschmutzte. “Verpiss dich doch!“ Akribisch wischte er sich seine Hände sauber, sah sich anschließend suchend nach einem Mülleimer um, in den er dann das rot getupfte Taschentuch versenkte.

Dann hörte er das dumpfe Poltern aus Alys Zimmer. Aly … Wieder musste er eine Augenblick die Augen schließen um die aufkommenden Bilder zurück zu drängen. Er suchte in seiner Jackentasche nach einer Zigarette, wartete mit angespannter Miene auf weitere Geräusche, die ihm Aufschluss über Aly gaben, über das was sie gerade tat. Aber es blieb still. Das Poltern war verstummt. Aly … hast du jetzt auf mich gehört? Hast du aufgegeben? Erst nach einer Weile wurde im bewusst, was für einen Mist er dachte, was dieses Poltern, beziehungsweise sein Verstummen wirklich bedeuten konnte. Erschrocken riss er erst die Augen, dann wieder die Tür zu ihrem Zimmer auf. „Aly!“ Und da lag, sie regungslos auf dem Boden. Kalte Furcht erfasste ihn, während er neben ihr in die Knie sank und sie vorsichtig umdrehte. Und plötzlich war wieder Blut an seinen Händen – ihr Blut. Das dünne Krankenhaushemd war an ihrem Bauch feucht und rot, blutig. Als sie aufgestanden war, um ihm nachzulaufen, musste die Wunde wieder aufgerissen sein.
Ich werde dich töten … ich trage die Schuld an all deinem Schmerz … Er stand auf und hasstete zu dem Bett, drückte den Knopf, den Carter ihr gezeigt hatte. Drückte ihn einmal, zweimal, immer wieder … so lange, bis Carter hier aufkreuzte.

Doch nicht Carter war es der zuerst im Zimmer auftauchte, sondern eine der Schwester. Als sie aber Aly auf dem Boden erblickte, drückte sie sofort den Alarmknopf. Und nur ein paar Minuten später erschien Carter. „Verdammt...” doch als auch er sah das Aly am Boden lag und das Blut bereits ihr Nachthemd rot gefärbt hatte, lief er sofort zu der jungen Frau und schob Rave beschwichtigend aber bestimmt zur Seite. “Was ist passiert?” Er hatte sich zu Aly runtergebeugt und bereits damit begonnene den Verband abzunehmen und die Blutung zu stillen. “Verdammt, das muss neu genäht werden.” Er wies die Schwester an, ihm das Nähzeug zu geben und ihr die Infusion neu zu setzen. Dann sah er erst wieder zu Rave. “Keine Angst, sie hat nur einen Schwächeanfall, sie sollte aber auch noch nicht aufstehen. Sagen Sie mir bitte dass Sie nicht vor hatten sie mitzunehmen?”

Nachdem er ihre Wunde neu genäht und verbunden hatte, hob er sie vorsichtig auf und legte sie zurück auf das Bett. “Sie wird sicherlich gleich wieder zu sich kommen...” Dann wandte er sich wieder an Rave. “Ok, was ist passiert?” fragte er diesen nochmals.

Als Aly wieder zu sich kam, lag sie wieder in dem Krankenbett, Rave... Er war noch da?! Und Carter auch. Vorsichtig wollte sie sich aufrichten wurde aber von der Schwester gleich wieder ins Kissen zurückgedruckt.
“Scheiße...” Sie sah von Rave zu Carter und dann wieder zu Rave. “Was willst du denn noch hier? Ich dachte du willst gehen...?” Trotzig sah sie zu ihm, trotzig und dennoch froh darüber dass er noch hier war. Dann sah sie wieder zu Carter, “Ich will nach Hause....”

Verdammt …“ Ja, das war ein Ausruf den Rave voll und ganz unterstützen konnte. Denn schließlich war dieses ‚Blutbad’ hier seine Schuld. Erstaunlich, wie kontinuierlich er an Alys Untergang arbeitete – und wie gut es ihm zu gelingen schien, sie unaufhörlich weiter in diese Richtung zu drängen. Denn es war schon eine Kunst, ein und dieselbe Person am selben Tag nun bereits zum dritten Mal so zuzurichten, dass sie dringend ärztlicher Hilfe bedurfte. Carter schien das genauso zu sehen, denn sein Blick sprach Bände. Auch als er Rave sagte, dass es nur ein Schwächeanfall gewesen sei, und der sich daraufhin merklich entspannte, war der Vorwurf in Cartes Blick unverkennbar. „Was …? Nein … ich war gerade im Begriff sie zuverl- zu gehen.“ Rave schüttelte den Kopf und wirkte dabei völlig neben der Spur. Er brauchte jetzt dringend einen Kaffee … oder noch besser, einen Schnaps, einen doppelten. Oder am besten gleich die ganze Flasche.

“Was ist passiert?“ Ja, diese Frage stellte Rave sich auch. Was zum Teufel war in diesem Zimmer gerade passiert. Sein Blick wanderte zu Alys blassem Gesicht, blieb an ihren geschlossenen Augen hängen. „Sie hat sich erinnert … ich wollte gehen … und sie muss aufgestanden sein.“ Ja, das war passiert … und noch so viel mehr, von dem Rave wünschte, dass es niemals geschehen wäre … ihr erneutes Liebesgeständnis, der Kuss … seine Flucht?!

Erschrocken zuckte er zusammen, als sich Alys Augen wieder öffneten. “Was willst du denn noch hier? Ich dachte du willst gehen...?” fauchte sie ihn an. Zurecht. Was wollte er noch hier? Warum war er noch nicht weg? Aus dem gleichen Grund, warum du überhaupt her gekommen bist, aus dem gleichen Grund … Als die dann von Carter verlangte, dass sie nach Hause wolle, zog sich sein Magen schmerzhaft zusammen. Nach Hause … Aly hatte kein Zuhause außer dem seinen. Er wusste nicht viel über ihre Familie – nur soviel, dass sie wohl weit weg waren, so weit weg, dass es sie nicht zu interessieren schien, was mit ihrem Kind geschehen war. Und niemand konnte ihm erzählen, dass sie, wenn sie es denn gewollt hätten, nichts übers sie in Erfahrung bringen konnte. Denn es gab immer einen Weg um an Informationen dieser Art zu kommen.

Carter warf einen fragenden Blick zu Rave, als von diesem aber keine Reaktion kam, wandte er sich mit einem bedauernden Kopfschütteln an Aly. „Es tut mir sehr leid, Sie müssen noch hier bleiben. Sie sehen ja was passiert, wenn Sie sich bewegen.“

Ach kommen Sie schon, Doc...” Aly sah den Arzt bittend an. Auf keinen Fall wollte sie länger hier bleiben.
“Das war doch nur eine Kurzschlussreaktion, ich werde auch schön brav in einem Rollstuhl sitzen, und eine Schwester oder ein Pfleger kann sich ja ambulant um die Wunde kümmern, kann vorbei kommen...”
Sie wollte hier einfach raus, wollte nach Hause... Wenn sie den noch ein Zuhause hatte... Sie sah zu Rave. Würde er sie zu sich nehmen wenn der Arzt sie gehen lies? Am liebsten wohl nicht, am liebsten wäre ihm wohl wenn sie ihn in ruhe lassen würde, wenn er sein Leben so weiterführen konnte wie bis anhin. Doch genau das wollte sie nicht. Sie wollte nicht so weiterleben wie sie es bis dahin getan hatte. Unbewusst hatte sie bereits gestern den ersten Schritt getan, als sie etwas mit Ezra hatte. Als sie einem von Raves ärgsten Feinden ihr wahres Gesicht gezeigt hatte. Und sie hatte nicht vor dies je wieder zu leugnen. Aber sie wollte Rave auch nicht verlieren. Warum genau sie ihn liebte? Eigentlich eine gute Frage. War nicht er es der sie immer wieder in Schwierigkeiten gebracht hatte? Nein, sie war es selbst. Es war nicht Raves Schuld das sie hier lag. Jeder war für sich selbst und sein Leben verantwortlich. Nein, sie würde nicht länger Raves Dekorgirl sein. Sie würde sie selbst sein. Und doch würde sie bei Rave bleiben, nicht weil er sie mit Drogen versorgte, nicht weil er ihr Geld und Schmuck gab, sondern weil sie ihn liebte....

Erneut versuchte sie sich aufzurichten, was aber gleich wieder mit einem missbilligenden Blick der Schwester und einem sanften Ruck ihrerseits zurück ins Kissen quittiert wurde. Sie sah die beiden Männer vor sich an, “Verdammt hört endlich auf über mich zu bestimmen, hört auf mir zu sagen was gut für mich ist und was nicht. Ich weis selber was ich will. Und weder du, Rave, noch Sie Dr. Carter werden mich in Zukunft davon abringen können das zu machen was ich will!” Das, genau das hätte sie schon längst sagen sollen... Schon längst machen sollen. Etwas anderes würde sie von nun an nicht mehr akzeptieren. Und Punkt.

Hatte Aly denn immer noch nicht verstanden? Rave musterte ihren entschlossenen Gesichtsausdruck aus den Augenwinkeln. Glaubte sie denn wirklich, dass er sie wieder mit zu sich nehmen würde? Glaubte sie das wirklich? Sie konnte doch nicht wirklich annehmen, dass er diesem völlig bescheuerten Vorschlag zustimmen würde?! Aber anscheinend tat sie das. Rave schnaufte leise.

Oh Aly … in was für einer Welt lebst du eigentlich? Als sie dann meinte, dass sie jetzt selber wisse was sie tun wolle und dass sie ab jetzt auch genau das machen wollte, lachte er kurz und hart. „Oh, sieh mal einer an.“ bewusst gab er seiner Stimme einen verächtlichen Klang. „Da hat ja jemand die Erleuchtung bekommen. Du willst ab jetzt das tun was du willst? Na bitte, ich werde dich davon nicht abhalten – schließlich bist du ja alt genug über dein Leben selbst zu entscheiden. Es hat bisher ja auch so gut geklappt, nicht wahr? Und genau aus diesem Grund glaubst du ja auch, dass du das jetzt alles so hinkriegst, wie du dir das vorstellst. Oh, ich bin mir sicher dass dir das hervorragend gelingen wird! Viel Glück dabei.“ Der blanke Hohn sprang aus seinen Worten, sollten sie verletzen … und taten ihm selbst auch so weh. Er schüttelte den Kopf und wandte sich zum gehen. „Tu was du willst – aber lass mich daraus.“

Er drehte sich endgültig um und trat aus dem Zimmer. Vorher nickte er Carter noch zum Abschied zu, der nicht so recht zu wissen schien, was er von den Dingen die sich hier vor seinen Augen spielten, halten sollte.

Ja geh, geh endlich, das ist doch das was du am besten kannst. Such dir ein neues Dekorgirl, welches du mit Drogen gefügig machen kannst, aber pass ja auf das keine Gefühle ins Spiel kommen, denn sonst wirst du immer verlieren.” Nun war es Aly die ihn mit zornigen Augen anfunkelte. “Scheiß auf das Leben anderer, scheiß auf mein Leben.... Verdammt!” Dann sah sie zu Carter. “Raus, alle zusammen raus hier.” Sie wollte keine mehr sehen. Oder noch besser wäre, wenn sie hier weg kam. Weg von allem, weg von allen.

Sie tastete zu der immer noch frischen Wunde an ihrem Bauch, sobald sie sicher sein konnte das sie nicht mehr blutete wenn sie aufstand, wäre sie hier weg. Und dieses mal würde ihr keiner in die Quere kommen. Kein Rave, kein durchgeknallter Wachmann. Wohin? Keine Ahnung, aber sie würde schon was finden, sie hatte immer etwas gefunden. Notfalls würde sie halt zu Ezra gehen. Genau, Ezra. Erneut sah sie zu Rave, “Na los... was ist? Du hättest erst gar nicht hier her kommen sollen, warum hast du mich nicht einfach in der Lagerhalle verrotten lassen? Aber keine Angst, ich werde schon jemanden finden, jemanden der mich so akzeptiert wie ich bin, und vokalem jemand der sich selbst akzeptieren kann...” Sie war nun richtiggehend in Rage. Rave hatte ihr mit seiner Reaktion mehr wehgetan als er es jemals zuvor getan hatte und nun würde sie ihm wehtun. “Vielleicht sollte ich Ezra anrufen...”

Dr. Carter stand daneben und sah immer wieder abwechselnd zu Rave und Aly, bis es ihm schließlich reichte. In erster Linie musste er nun an seine Patientin denken und diese Aufregung tat ihr bestimmt nicht gut.
Er wandte sich an Rave, “Vielleicht ist es nun wirklich das Beste wenn sie gehen, ich weis nicht was zwischen Ihnen vorgefallen ist, aber diese ganze Aufregung ist bestimmt nicht das Beste für Aly...” Er winkte der Schwester zu und gab ihr die Anweisung Aly eine Beruhigungstablette zu geben. Dann sah er wieder Rave an, „Kommen Sie bitte noch mit mir in mein Büro, ich brauche endlich die genauen Personalien von Aly...“

Als die Schwester zu Aly trat um ihr die Tablette zu geben, funkelte sie auch diese böse an. Sie hatte gar nicht vor sich zu beruhigen. Immer noch wütend fegte sie die Hand der Schwester mit ihrer Hand weg, “LASST MICH ENDLICH IM RUHE...!” und die Tränen rannen ihr dabei übers Gesicht....

Alys Worte, ihr Zorn klangen durch die noch offen stehende Tür, durch die Rave schon halb hindurch gegangen war. Er verstand dass sie wütend war, hatte es gewollt, hatte sie provoziert. Er hatte gewollt, dass ihm die Wut aus ihren Worten entgegen schlug, wollte, dass sie ihn für seine Worte von eben hasste. Denn er hatte geglaubt, dass ihr Hass leichter zu ertragen war, als ihre Liebe. Ein Irrtum, ein weiterer, der sich in einer langen Reihe hinten anstellen konnte. Aber das tat er nicht, mit aller Wucht drängte er sich durch die Reihen, drängte sich nach vorne, wo er ihn mit schmerzlicher Wucht daran erinnerte, was für ein Idiot er war. Und gegen seinen Willen blieb er stehen, um sich die weiteren Schimpftiraden anzuhören.

“Vielleicht sollte ich Ezra anrufen...” Seine Hände ballten sich wieder zu Fäusten. Er wollte herumfahren, sie anschreien, dass es ihm egal wäre was sie tat, dass es ihn nicht interessierte, wenn sie sich mit einem Kerl einließ, der noch weniger Wert war als eine dreckige Ratte. Er erinnerte sich noch gut an das, was er Aly gestern im Bloody Tear über Ezra gesagt hatte. Jedes Wort hatte er ganz genauso gemeint, und er wusste, dass Ezra für Aly nicht der Richtige war. Aber vielleicht richtiger als er?

Carters Worte drangen kaum zu ihm durch, es war ihm auch egal was dieser Arzt im sagte, was dieser dachte. Er empfand Dankbarkeit für ihn, weil er Aly nun mehrfach das Leben gerettet hatte und bis auf die anfängliche Verbohrtheit erstaunlich wenig Fragen gestellt hatte. Auch wenn er sich immer noch nicht wieder umgedreht hatte, so wusste er dennoch, dass Aly jetzt wohl weinte. Er konnte es an ihrer Stimme hören, obwohl sie schrie.

„Bitte, lassen Sie uns noch einen kurzen Moment allein.“ bat er den Arzt und die Schwester schwach. Carter schüttelte den Kopf. „Nein, das werde ich nicht tun, nicht nachdem was eben passiert ist … und nach dem was hier gesagt wurde. Eigentlich müsste ich wieder die Polizei benachrichtigen… Ich bitte Sie Rave, kommen sie mir ein kleines bisschen entgegen …“ „Bitte, nur fünf Minuten, warten Sie meinetwegen vor der Tür …“ Er machte eine halbe Drehung, sah zu Carter, der sichtlich mit sich rang, und schließlich nickte. „Fünf Minuten – und keinen Augenblick länger.“ Er gab der Schwester einen Wink, die alles andere als glücklich aussah, dann aber Carter schweigend aus dem Zimmer folgte.

Nun war Rave mit Aly wieder allein. Fünf Minuten … Reichten fünf Minuten, um Aly zu sagen dass … was? Reichten fünf Minuten um alles vorher gesagte wieder zurück zunehmen und zu einer Lösung zukomme, mit der beide Leben konnten? Wie in Zeitlupe drehte er sich nun zu ihr um, sah in ihr wutverzerrtes, tränennasses Gesicht. „Was willst von mir hören? Dass es mir leid tut? Dass ich die auch liebe? Dass ich einfach nicht weiß was ich tun soll, einfach nicht weiß was mit mir los ist, dass ich nicht damit klar komme, dass sich auf einmal alles meiner Kontrolle entzieht … Du hattest recht, du bist vermutlich der Mensch, der mich am besten kennt … und das ist etwas, was … mir Angst macht …“ Noch 3 Minuten.

Endlich, endlich schienen sie zu gehen, endlich schienen sie Aly alleine zu lassen. Doch nicht Rave. Nein, er kam zurück ins Zimmer, schloss die Tür hinter sich und trat erneut an ihr Bett. Sie wandte ihr Gesicht ab, sah zu dem Fenster. Versuchte sich auf die Regentropfen zu konzentrieren die an der Fensterscheibe hinab liefen. Nein, sie konnte Rave nicht mehr ins Gesicht sehen. Sie wollte nicht dass er den Schmerz in ihrem Gesicht sehen konnte. Die Tränen die sie wegen ihm vergoss.

„Was willst von mir hören? Dass es mir leid tut? Dass ich die auch liebe? Dass ich einfach nicht weiß was ich tun soll, einfach nicht weiß was mit mir los ist, dass ich nicht damit klar komme, dass sich auf einmal alles meiner Kontrolle entzieht … Du hattest recht, du bist vermutlich der Mensch, der mich am besten kennt … und das ist etwas, was … mir Angst macht …“ Doch auch wenn sie ihn nicht ansah, so drangen seine Worte sehr wohl in ihr Ohr, bohrten sich von dort weiter, bis zu ihrem Herz. Was sie von ihm hören wollte? Wusste er das den nicht selbst? Natürlich wusste er das. Genau diese Worte waren es, die sie hören wollte. Noch immer sah sie zum Fenster, stumm die Tränen wegwischend. Doch schließlich wandte sie ihr Gesicht Rave zu, sah ihn einen weiteren Moment stumm an.

„Die Wahrheit, einfach nur die Wahrheit, Rave. Sag mir ehrlich ins Gesicht das du mich nicht liebst und ich werde dich gehen lassen, werde dich in Ruhe lassen. Kannst du das?“ Ihre Stimme war, wenn man von einem leichten Zittern absah, erstaunlich ruhig. Nichts deutete mehr darauf hin das sie noch vor ein paar Minuten ausgerastet war. Auch wenn sich ihre ganzen Gefühle in ihr wie ein riesiger Sturm immer mehr zusammenbrauten. Wut, Angst, Verzweiflung.... Liebe.

Ob Aly wusste, was sie gerade für ein Privileg genossen hatte? Er hatte ihr gerade einen tiefen Einblick in sein Inneres gegeben, war ehrlich gewesen, hatte zugegeben, dass er … Angst vor etwas hatte. Aber natürlich wusste sie es, musste es wissen. Genauso wie sie wissen musste, wie viel Überwindung ihn das gekostet hatte, diese Worte zu sprechen. Und trotzdem – und trotzdem wollte sie noch mehr von ihm hören. Die Wahrheit! Himmel, war denn noch mehr Wahrheit nötig? Warum zwang sie dazu? Warum zwang sie ihn Dinge zu sagen, die er nicht sagen, und sie nicht hören wollte?

„Die Wahrheit, einfach nur die Wahrheit, Rave. Sag mir ehrlich ins Gesicht das du mich nicht liebst und ich werde dich gehen lassen, werde dich in Ruhe lassen. Kannst du das?“ Langsam nickte er. „Ja, ich kann es … und du weißt das auch.“ Ja, ihr zu sagen, dass er sie nicht liebte war keine besonders schwere Übung. Auch, wenn es ihm vielleicht wehtun würde.
Viel schwieriger wäre es ihr direkt ins Gesicht zu sagen, dass er sie liebte. Und das war etwas, dass er nicht konnte, jetzt nicht … hier nicht. Noch nicht – und wenn es nach ihm ging, würde es auch so bleiben. Aber er hatte längst aufgeben zu glauben, dass es hier nur nach ihm ging. Nein, es ging schon lange nicht mehr nur um ihn – Aly. Es ging um Aly. War schon immer um sie gegangen, um dass wofür sie stand, seit jenem verregneten Tag als er sie aufgelesen hatte, um an ihr etwas gut zu machen, was er an seiner Familie verloren hatte.

Ja, er könnte es ihr ohne mit der Wimper zu zucken in das tränennasse Gesicht sagen. „Aber ich werde es nicht tun.“ Oh ja, Rave bewegte sich auf dünnem Eis, ständig von der Gefahr bedroht einzubrechen und im kalten Eiswasser zu erfrieren, zu ertrinken. Stumm sah er sie an, während in seinen Augen die unterschiedlichsten Gefühle um die Vorherrschaft kämpften. Da war die eine Seite, die ihn dazu drängte es endlich herauszuschreien. Ich liebe dich, Aly. Da war ein Teil, der Aly ohne ein weiteres Wort hier zurück lassen wollte, ein Teil, der sie schütteln wollte, solange, bis sie sich nicht mehr rührte. Ein Teil, der sie berühren und küssen wollte. Ein Teil der sie hassen wollte – ein Teil der sie liebte.

„Ich werde dir nicht sagen, dass ich dich … nicht liebe. Fang damit an was du willst – aber mehr wirst du jetzt nicht bekommen … mehr geht nicht … mehr kann ich einfach nicht …“ Mochte es vielleicht noch so dumm sein, aber Rave konnte es wirklich nicht. Er wusste, dass er, wenn er jetzt die drei kleinen Worte aussprach, daran ersticken würde. „Die fünf Minuten sind um … ich sollte jetzt gehen, damit Carter nicht wieder denkt ich wolle dich … umbringen …“

Ja natürlich konnte er es. Natürlich könnte er ihr die Worte hart ins Gesicht werfen, doch sie wusste dass dies gelogen wäre. Ja jede Andere hätte ihm das mit Sicherheit geglaubt. Doch sie nicht. Und doch, würde er ihr genau das sagen, so würde sie ihn gehen lassen. Ja vielleicht wäre das sogar das Beste, vielleicht würde er es erst genau wissen wenn sie nicht mehr da wäre. Wenn nicht er sie gehen lies, sondern sie ihn...

„Ich werde dir nicht sagen, dass ich dich … nicht liebe. Fang damit an was du willst – aber mehr wirst du jetzt nicht bekommen … mehr geht nicht … mehr kann ich einfach nicht …“ Sie sah ihn an, schweigend. Es war mehr als sie gedacht... gehofft hatte. Und doch... Sie schüttelte leicht denn Kopf. Nein solange er sich nicht sicher war. Nicht so sicher wie sie, solange würde sie nicht mehr von sich aus auf ihn zukommen. Die Chance dass er sich so gegen sie entscheiden würde war groß, doch sie konnte so nicht mehr. Vielleicht war es egoistisch, ja vermessen von ihr anzunehmen, dass sie, sie die im Grunde nichts anderes als ein erbärmlicher Junkie war, es schaffen konnte das Rave sich ausgerechnet ihr ganz öffnen würde. Vielleicht war sie auch verrückt, sich ausgerechnet in so einen Typen zu verlieben. Und doch, gegen diese Gefühle war sie machtlos.

„Ja Rave, geh... Und komm erst wieder wenn du dir sicher bist. Vielleicht werde ich noch hier sein... Vielleicht nicht mehr. Ich werde dich nicht weiter drängen, es ist alleine deine Entscheidung...“ Einen kurzen Augenblick sah sie ihm direkt in die Augen, konnte seine innere Zerrissenheit sehen. Dann wandte sie den Kopf ab. Nein sie würde ihm nicht nachsehen wie er das Zimmer... Wie er sie, womöglich für immer, verlassen würde...

Ja Rave, geh...“ Sein Gesicht gefror. Stumm nickte er. Stumm drehte er sich um und ging zur Tür. “Und komm erst wieder wenn du dir sicher bist.“ … Er war sich sicher. Sicher dass er sie liebte, wenn auch auf eine ungesunde Art und Weise. Aber er war sich genauso sicher, dass es niemals funktionieren würde. Er und Aly … das konnte nicht gut gehen. Ihre Vorstellungen vom Leben klafften Kilometer weit auseinander, sie verlangte Dinge, zu denen er nicht bereit war, vielleicht niemals bereit sein würde. “Vielleicht werde ich noch hier sein... Vielleicht nicht mehr.“ Sie stellte ihm ein Ultimatum, welches äußerst riskant war. Vielleicht war sie weg wenn er kam, vielleicht würde sie auf ihn warten … während er nicht kam.

“Ich werde dich nicht weiter drängen, es ist alleine deine Entscheidung...“ Ja, seine Entscheidung, seine Qual der Wahl. Aber – hatte er überhaupt eine Wahl? Oder nur Qual? Konnte er wirklich zwischen den beiden Dingen wählen? Zwischen Liebe und … Einsamkeit? Langsam legte er die Hand an die Türklinke, als wolle er es noch ein wenig herauszögern, als hoffte er, dass Aly noch etwas sagen würde, etwas, dass ihm zum bleiben bringen würde. Aber das würde nicht kommen – durfte nicht kommen.

„Leb wohl, Aly …“ flüsterte er, als durch die Tür Verschwand. Leb wohl …

Aly musste sich richtiggehend zwingen Rave nicht nachzusehen als dieser das Zimmer verlies. Erst als er draußen war und sein „Leb woh“l noch in ihren Ohren nachhallte sah sie zu der geschlossenen Tür. Und lies ihren Tränen nun freien Lauf. Warum nur hatte sie sich überhaupt wieder erinnert? Vermutlich wäre sie besser dran gewesen wenn sie sich nicht mehr hätte erinnern können. Sie vergrub ihren Kopf im Kissen und konnte sich kaum mehr beruhigen.

Sie wusste nicht wie lange sie so dagelegen war, bis ihre Tränen langsam versiegten. Dafür begann nun ihr Körper unkontrolliert an zu zittern. Der Entzug hatte eingesetzt. Sie brauchte Stoff. Ja egal was sie sich versuchte vorzumachen, am Ende war sie doch nichts anderes als ein Junkie. Und ob sich das jemals ändern würde? Ob sie es überhaupt schaffen würde, das sich das je ändern würde? Heute wohl nicht, im Moment nicht. Ihr Körper hatte begonnen nach dem Gift zu schreien. Uns sie wusste wenn sie auf Entzug war, würde sie fast alles machen um an Stoff zu kommen. Doch sie wusste auch das sie hier im Krankenhaus zwar beinahe an der Quelle stand, das es aber auch nahezu unmöglich war, an etwas ran zu kommen. Dennoch musste sie es versuchen.

Immer noch schwach, stand sie erneut auf. Doch diesmal achtete sie darauf, dass die Wunde nicht erneut aufging. Machte jede Bewegung so vorsichtig wie es in ihrer momentanen Lage nur ging. Dann tappte sie zum Schrank und öffnete ihn. Da lagen doch tatsächlich ihre Kleider. Jemand musste sie gewaschen haben. Schnell zog sie sich ihre Jeans, ihr Top und ihre Schuhe an und schlich sich dann aus dem Zimmer.

Möglichst unauffällig lief sie über den Flur bis sie vor einem Zimmer stand auf dessen Tür Arzneizimmer stand. Vorsichtig öffnete sie Diese und trat ein. Gut es war niemand da, ansonsten wäre ihr Unterfangen recht schwierig geworden. Der Medizinschrank fiel ihr sofort ins Auge, doch dieser war natürlich abgeschlossen. Und sie sah auch nirgends einen Schlüssel oder sonst einen Gegenstand mit dem sie ihn hätte aufschließen können. Aber sie brauchte etwas. Ihr Blick fiel auf das Morphium. Genau das brauchte sie. Schließlich wusste sie sich keinen anderen Rat als eines der Tücher zu nehmen die neben der Spüle hingen, sich ihre Hand damit einzubinden und die Scheibe des Schrankes mit ihrer Faust zu zerschlagen. Das Glas war härter als sie angenommen hatte, oder aber sie schwächer. Auf jeden Fall brauchte sie 3 Versuche bis die Scheibe schließlich klirrend zerbarst. Schnell streifte sie sich das Tuch wieder ab und griff nach der Dose mit dem Morphium. Zusammen mit einer Spritze steckte sie sich dieses ein und eilte dann wieder zurück auf den Flur ohne sich weiter um den kaputten Glasschrank zu kümmern.

Doch wenn sie gedacht hatte dass dieses mal das Glück auf ihrer Seite stehen würde hatte sie sich erneut geirrt. Sie lief in ihrer Eile direkt Dr. Carter in die Arme, während sie von hinten bereits eine aufgeregte Stimme den Sicherheitsdienst rufen konnte hören, weil jemand im Arzneizimmer eingebrochen hatte. “Scheiße,” und damit hatte sie sich auch gleich selbst verraten. Es hatte keinen Sinn zu leugnen. Und auch Dr. Carter schien das so zu sehen. Straffend sah er sie an. “Aly... Was mache ich nur mit Inen? Ich werde das melden müssen, das ist Ihnen doch klar oder? Warum nur?” fragend sah er sie an. Warum hatte sie nicht einfach ihn gerufen, so dass er ihr etwas gegen den Entzug hätte geben können? Aly sah den Doc flehend an, “Bitte, lassen Sie mich doch einfach gehen...?” Doch der Blick von Dr. Carter sagte ihr bereits das es zwecklos war. Er würde sie nicht gehen lassen.
“Aly, bitte kommen Sie mit mir zurück in ihr Zimmer, ich werde Ihnen etwas gegen die Entzugserscheinungen geben, aber ich werde Sie von nun an auch bewachen lassen. Sie lassen mir keine andere Wahl...” “Scheiße ...” Aly wusste selbst was das zu bedeuten hatte. Sobald Dr. Carter befand das sie gesund war, würde ihr nächster Aufenthaltsort, wenn sie Glück hatte, einen Entzugsklinik sein, wenn sie Pech hatte, der Knast. Und sie würde vermutlich nicht mehr hier sein wenn Rave doch noch einmal kommen würde....

Leb wohl …
Rave war nicht zurückgekommen.
Rave hatte nicht mehr angerufen.
Rave hatte auf Carters Anrufe nicht reagiert.
Leb wohl …

Er hatte sein normales Leben wieder aufgenommen, hatte es versucht. Alle Dinge, die an Aly erinnerten, hatte er in ihr Zimmer gebracht, hatte es abgeschlossen und den Schlüssel in seinen Safe geschlossen. Er hatte ihn weg werfen wollen, aus dem Fenster, in einen Fluss … weit weg.
Doch als das geschehen war, war es ihm erstaunlich leicht gefallen, zurück in seinen alten Rhythmus zu verfallen. Aufstehen, Badezimmer, Frühstück, telefonieren, Termine absprechen, umziehen, Termine wahrnehmen, Mittag essen, und so weiter und so fort.
Und so wie er Alys Sachen aus seinem Blickfeld verbannt hatte, so hatte er auch die Gedanken an sie aus seinem Kopf verbannt, verschlossen in der hintersten Ecke. Aly existierte nicht mehr, war gestorben an jenem Tag, als er sie im Krankenhaus zurück gelassen hatte. Leb wohl … An manchen Tagen fehlte ihm etwas, ohne dass er sagen konnte was es war. Manchmal glaubte eine Gestalt zu sehen, wie sie durch sein Apartment schlich, kaum mehr als ein Schatten.
Ja, Aly war gestorben, aber ihr Geist suchte sie regelmäßig heim, spukte durch sein Träumen, durch sein Wachen. Leb wohl …

Leb wohl …
Rave lebte wie früher – vielleicht trank er ein wenig mehr.
Rave war zufrieden - vielleicht war er ein wenig reizbarer.
Rave brauchte Aly nicht – vielleicht brauchte er nicht mal mehr sich selbst.
Leb wohl …

The Bloody Tear. Die blutige Träne. Rave war betrunken. Er trank, weil er Aly nicht vermisste, weil er nicht an sie dachte und ihm im Leben nichts fehlte. Ein Mädchen saß auf seinem Schoß, schmiegte sich an ihm und erzählte ihm all das, was er hören wollte, während er zwischendurch zusammenhangslos vor sich hin nuschelte.
Zu dumm nur, dass er ihr nicht zuhörte, dass sein Kopf ein einziger Brei war, in dem die Worte auseinander gerissen wurden und völlig entfremdet einen neuen Sinn ergaben, einen Sinn, den er zu erfassen nicht in der Lage war. Vielleicht war Rave nicht betrunken, vielleicht hatte er auch Drogen genommen.
„…das ist der Schrei, der aufsteigt, wenn die Tränen im Staub der Straßen über ihr Schicksal lachen …“ Vielleicht war er aber auch einfach nur verrückt geworden, wahnsinnig …
Leb wohl … Vielleicht war er aber auch nüchtern und redete sich das alles nur ein, weil er sich so leichter ertragen konnte, weil er die Prostituierte in seinem Arm so leichter ertragen konnte.

Leb wohl …
Rave sah nichts.
Rave hörte nichts.
Rave fühlte nichts.
Leb wohl …

Wie viel Zeit war vergangen, seit Aly gestorben war? Ein Tag, eine Woche, ein Monat, ein Jahr? Eine Ewigkeit … „Was ist los?“
Stumm schüttelte er den Kopf. Ach, das ist los …
Mit einer unwirschen Handbewegung schickte er sie weg, er hatte genug von ihr – oder würde niemals genug bekommen. Niemals genug.
Manchmal gab es keine richtige Entscheidung. Manchmal hatte man nur die Wahl zwischen falsch und falsch. Hatte er sich für das richtige Falsch entschieden? Darüber durfte er nicht nachdenken, durfte sich diese Frage nicht stellen, zuviel war davon abhängig, dass er glaubte die einzige mögliche Entscheidung getroffen zu haben. Denn wenn er wüsste, dass er sich falsch entschieden hatte, dann würde er bemerken, dass die Welt unter ihm weg gebrochen war – und dann würde er fallen.
Den Zustand der Schwebe galt es zu erhalten, solange, bis er wieder festen Boden unter den Füßen hatte. Rave wollte nicht fallen. Nicht für Aly. Und dabei war sie vielleicht die einzige, die den Sturz hätte bremsen können.
Aly war nicht tot - er war es.